Die Capitana - Roman
Freude wie damals unter diesem großen Himmel, ein solches Gefühl von Freiheit, von Größe, das von der Landschaft auf uns überging, uns nie wieder vergönnt sein sollte. Hipólitos Krankheit, die unser Leben lenkte, ließ uns dort im Süden in Frieden, als hätte sie sich unserer unerschütterlichen Lebensfreude gebeugt. Es lag nicht nur an dem günstigen Klima, es lag an dem Leben, das wir führten. Weit weg von den Anstrengungen der Stadt, den Gruppen mit ihren Allianzen, Zerwürfnissen und Diskussionen, der schnellen Reaktion auf aktuelle Geschehnisse, der Sorge um das tägliche Essen.
Die Straßen, die sich ins Unendliche zogen, die Häuser, die immer spärlicher wurden, immer weniger Menschen. Mit der Entfernung wuchs die Aufregung, das Glücksgefühl, sich mit Haut und Haaren ins Abenteuer zu stürzen. In jedem Ort das gleiche Spiel, Zähne ziehen, Karies behandeln, Spritzen geben, Prothesen anfertigen. Und mit den Leuten reden. Sie erfuhren immer mehr über die Lebensbedingungen in Patagonien: die Schafe, die Wolle, die Schur, die elendige Ausbeutung der Indios auf den Ländereien, der Handelskreislauf, die Gemischtwarenläden, die Import- und Exportfirmen. Die Organisation der Schafhirten war die Folge tiefer Ungerechtigkeit.
Aus dem, was man ihnen hier und dort erzählte, konnten sie sich die Genealogie der Familien Menéndez Behety und Braun Menéndez zusammensetzen, der Landbesitzer, gegen die die Arbeiterbewegung in der Provinz Santa Cruz den Aufstand geprobt hatte.
Sie reisten ohne Eile – zwischen einer und der nächsten Etappe viel Zeit zum Ausruhen und Arbeiten –, aber auch ohne Rast.
Immer weiter hinunter nach Süden. Santa Cruz: Paso Ibáñez, Río Gallegos, damit waren sie im Zentrum des Landarbeiteraufstands, acht Jahre danach. Wie sie es sich vorgenommen hatten, sammelten sie Zeugnisse aus erster Hand: von den wenigen Überlebenden, den Angehörigen, Tagelöhnern, Gutsbesitzern, dem Briefboten, der Witwe des Anführers, dem Fuhrmann, einem Arzt. Die größtmögliche ideologische und soziale Spanne.
Der Kellner im Gran Hotel in Río Gallegos erzählte: Er hatte den Polizeichef sagen hören, er würde eine Champagnerparty steigen lassen, wenn einer der Arbeiterführer aus dem Weg geräumt würde. Und so kam es, der Mann wurde festgenommen, man setzte ihm den Pistolenlauf ans Ohr und knallte ihn ab. Ich persönlich, erzählte er mit wutbebender Stimme, habe ihnen für ihr feierliches Besäufnis einundzwanzig Flaschen Champagner serviert.
Der Fleischer im Ort: Truppen wurden ins Feld geschickt, die Arbeiter kaltblütig massakriert, indem man jeweils etwa fünfundzwanzig von ihnen isolierte, die ließ man ihr eigenes Grab ausheben, und dann erschoss man sie ohne irgendein Gerichtsverfahren neben dem Grab und vor den Augen der anderen, um ein Exempel zu statuieren.
Dann in Paso Ibáñez der stellvertretende Leiter des Zollamts: Das Zusammenleben hatte sich vollständig gewandelt, seit die »pacos« da waren, wie die Militärs bei ihnen hießen, sie zogen nachts in kleinen Gruppen durchs Arbeiterviertel von Tür zu Tür, holten die Männer heraus und schlugen sie brutal zusammen.
Dann ein Händler: Die Arbeiter hatten sich hinter den Wollbündeln verschanzt, und als die Truppen kamen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich zu ergeben. Auch sie wurden eiskalt abgeschlachtet.
Es war klar: Die Landarbeiter hatten weder getötet noch vergewaltigt, noch gestohlen, sie hatten die Verwalter lediglich als Geiseln genommen. Die Tagelöhner wurden von der Gendarmerie und den weißen Garden aus dem Hinterhalt ermordet.
Wir sammelten Daten und noch mehr Daten in der Absicht, eines Tages ein Buch zu schreiben, aber unsere Notizen vergilbten, ohne dass wir, die wir zu immer neuen Schauplätzen gerufen wurden, sie in eine Form bringen konnten. Es erfüllte mich mit großer Freude, als ich Jahre später Osvaldo Bayers Buch Rebellisches Patagonien las. Manche Ereignisse verlangen danach, erzählt zu werden, es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendwer diese Heldentat der Landarbeiter aufschreiben würde, um sie kommenden Generationen zu überbringen. Leider habe ich Bayer nie kennengelernt, dabei hätte ich mich zu gern mit ihm über diesen wilden Landstrich ausgetauscht.
Es waren wunderbare Jahre dort im Süden. Dieses köstliche Leben war eine große Verlockung, jeder Tag ein neues Abenteuer. Nach und nach glich ich mich dieser endlosen Landschaft an. Ich kam mir so weit, so reich vor wie
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