Die Capitana - Roman
Patagonien. Ich weiß nicht mehr, wo wir erfuhren, dass man ein zehntausend Quadratmeter großes Grundstück erwerben konnte und einfach nur einen Zaun und ein Haus errichten musste, unvergesslich ist mir aber, dass es an dem Ehrfurcht einflößenden Lago Futalaufquen lag, wo wir auf dem Rückweg von unserer langen Reise nach Feuerland vorbeikamen und sich in mir der Wunsch regte zu bleiben. Um innezuhalten, das Material zu ordnen, das wir zusammengetragen hatten, und das Buch zu schreiben. Im Schutz der großartigen Wälder, die Augen weideten sich an der Schönheit der Umgebung, endlich befreit von diesem Husten, der unser Leben zerhackte. Hipólito gesund. Schreiben, lieben, lesen.
Auch Hipólito fand den Gedanken verführerisch, aber was würde aus dem Gelübde, das wir in unseren Jugendjahren abgelegt hatten. Nein, Mika, sagte er zu mir, wir müssen aufbrechen. Doch ich weigerte mich.
Was das Buch betrifft, sind sie sich einig, nicht aber darin, wann und wo sie es schreiben sollen. Sie will in dieser aus Stein und Blech gebauten Hütte am See bleiben und sich an die Arbeit machen.
»Die Welt bleibt nicht stehen, während wir das Buch schreiben, Mikuscha. Es passieren viele entscheidende Dinge, und wir sind fernab vom Geschehen.«
Oft haben sie in den letzten Tagen darüber gestritten, und von Mal zu Mal schlimmer, mit immer härteren Worten, wie die, die Hipólito an diesem Nachmittag gebraucht hat. Sie können sich gegenseitig nicht verstehen.
Mika beschließt, einen Spaziergang zu machen, um der angespannten Stimmung zu entkommen, einverstanden, sagt Hipólito und legt sich den Schal um den Hals, doch sie weist ihn zurück: Nein, ich will allein rausgehen.
So schlimm ist das nicht, versucht Mika sich einzureden, sie möchte nur allein sein, nachdenken, es ist nicht das erste Mal, dass sie allein durch die Wälder streift und er lesend zu Hause bleibt. Aber noch nie hat sie ihm, so wie heute, verboten, sie zu begleiten, so brüsk, feindselig.
Sie geht in den Wald, Hipólitos letzter Blick, der fassungslos war und verletzt, lässt sie nicht in Ruhe. Mika schmerzt es, dass sie so hässlich zu ihm war. Aber sie ist verärgert, es geht doch nicht, dass er sie gleich so verurteilt, nur weil sie hier bleiben will, ihr Oberflächlichkeit, Egoismus vorwirft, dass sie ihr Privatvergnügen über das gesellschaftliche Interesse stellt. Natürlich findet auch er an dem Gedanken Gefallen, würde auch er sich am liebsten gleich ans Schreiben machen und weiter so leben wie bisher, aber er hat die Zeitungen gelesen, die man ihnen geschickt hat, er hat noch einmal darüber nachgedacht, und es ist offenkundig, dass sie nicht ewig in Patagonien bleiben können, auch in Buenos Aires nicht, in Europa gibt es schlagkräftige Arbeiterorganisation mit einer langen Geschichte, kein Vergleich zur Arbeiterklasse in Lateinamerika, die noch in den Kinderschuhen steckt: in Deutschland findet der Kampf statt. Merkst du das denn nicht, Mika? Das Weltgeschehen spielt sich nicht zwischen diesen großartigen Bäumen ab.
Hipólito hat recht, in Europa wird das Schicksal der weltweiten Arbeiterklasse entschieden, Mika weiß das, aber sie will dieses Buch schreiben, es ist sehr wohl wichtig und auch nützlich, und zwar hier an diesem See, hier gehört sie hin, sie können ihren Kampf auch von hier aus führen. Nicht wahr, Teo? Mika umarmt ihren Hund, sucht bei ihm die Bestärkung, die sie in ihrem Innern nicht findet.
Sie ist gekränkt: Tatenlos vor sich hin leben und auf den Horizont schauen – Hipólito war so hart zu ihr, tat ihr Unrecht, als ob sie jemals tatenlos vor sich hin gelebt hätten, was Mika allerdings nicht anspricht, um sie nur ja nicht herbeizurufen, ist die Krankheit, sie will nicht aus Patagonien weggehen, weil es Hipólito endlich gutgeht. Warum traut sie sich nicht, ihm die Wahrheit ins Gesicht zu sagen: ihre Angst, dass er sterben muss? Warum diese ganzen Ausflüchte?
Auch an diesem Nachmittag, zurück aus dem Wald, kann sie sich ihm nicht offenbaren. Es wird alles nur noch schlimmer, und als Hipólito ihr sagt, dieser ganze Streit hat ihn zu dem Schluss gebracht, dass sie Patagonien schnellstens verlassen müssen, ist sie so verzweifelt, dass sie alles auf eine Karte setzt: dann soll er gehen, sie bleibt.
Hipólito mustert sie, er glaubt ihr nicht, und er hat recht, aber anstatt etwas zu sagen, sieht er sie nur weiterhin herausfordernd an. Jetzt ist er es, der frische Luft braucht. Wuchtig fällt die Tür ins
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