Die Capitana - Roman
laufen, eine Nadel bohrt sich ihr in den Magen, aber sie wird nicht in Panik ausbrechen, sie wird essen, schlafen, wie soll sie in ihrem Zustand sonst eine klare Entscheidung treffen. Morgen wird sie weiterfahren und ihn finden. In Buenos Aires, spätestens.
Hipólito ist in Esquel. Er hat bei Freunden von John zu Abend gegessen und geschlafen und seine Reise vorbereitet. Er wird mit John bis Ingeniero Jacobacci fahren. Dort wird er sehen, wie er nach Buenos Aires kommt, es wird schon klappen.
Sie sind keine zehn Kilometer gefahren, da erkennt er den Lieferwagen, verlassen am Straßenrand, und bittet John anzuhalten. Er steigt aus und sieht sich um.
»Tut mir leid, aber ich muss wissen, was mit meiner Frau passiert ist. Fahr du weiter, ich kann zu Fuß nach Esquel zurückgehen.«
John hat es nicht eilig, er kann ihn gern nach Esquel zurückfahren, aber was, wenn sie in einem anderen Fahrzeug zurückkommt und sie sich verfehlen? Oder wenn sie mit irgendjemandem weitergefahren ist? Er weiß schon eine Lösung, John wartet beim Lieferwagen, Hipólito fährt in seinem Auto nach Esquel. Wenn er sie nicht findet, soll er in einer Stunde zurückkommen, dann können sie gemeinsam weiter nach ihr suchen.
Ein einstmals blaues Auto hält an. Ein grauhaariger Herr steigt aus, und Mika. Hipólito fasst sie am Arm. Sie können nichts sagen, sich nur fest umarmen.
Später, reden können sie später, wenn sich dieser Kloß in seiner Kehle gelöst hat, und dafür muss er Mika ganz nah an seinem Körper spüren. Mikas Geruch, ihren glatten Hals, ihr Ohr: eine Qual, das Leben ohne dich, dabei war es nicht einmal ein Tag, aber das will ich nicht, Liebling, er hält sie von sich weg, um ihr in die Augen zu sehen, er will nicht bleiben, und er will auch nicht, dass sie ihm folgt, er hat begriffen, dass sie eine andere Wahl getroffen hat, und das erkennt er an, sie müssen sich trennen, so weh es tut.
Er soll sie umarmen, bittet Mika, ganz fest, bis dieses schreckliche Zittern vorbeigeht, dann werden sie weitersehen, sie hat schon einen genauen Plan, wie sie nach Deutschland kommen, wo sie hin müssen, auch sie ist inzwischen davon überzeugt, und nicht, weil er sie verlassen hat, das muss er ihr glauben, sie werden über alles reden, aber jetzt, bitte, soll er sie fest umarmen, bis ihr wieder warm wird, was für eine schreckliche Kälte ohne ihn, dabei war es nicht einmal ein Tag.
Acht Monate später, im August 1931, stehen Mika und Hipólito auf dem Deck der Massilia , die sie in den Hafen von Vigo bringen wird.
»Hältst du das kurz?«, bittet Hipólito sie und drückt ihr irgendwelche Blätter und einen Bleistift in die Hand. »Ich bin gleich wieder da.«
Mika erkennt auf den Blättern Schlachtpläne, und ihr fröstelt. Während er sich in Kriegstaktik und Militärstrategie schult, schließlich muss man vorbereitet sein, versetzt sie allein schon die Vorstellung, eine Waffe in die Hand nehmen zu müssen, in Schrecken. Ich könnte das nicht, denkt sie.
14. Kapitel
Moncloa, November 1936
Mika nahm einen Lappen und reinigte sorgfältig ihren Karabiner. Strich über ihn wie über den Rücken einer Katze. Sie hatte sich nicht von ihm getrennt, seit Leutnant López ihn ihr zwei Tage nach der Schlacht um Atienza geschenkt hatte, nur nach Frankreich hatte sie ihn nicht mitnehmen können. Sie hatte ihn einem Kameraden anvertraut, der ihn sorgsam gehütet hatte, und gerade von ihm zurückbekommen.
Noch in dieser Nacht würde Mika mit der zweiten Kolonne des POUM nach Moncloa aufbrechen. Antonio Guerrero war der Anführer. Zufällig liefen sie sich im Quartier über den Weg.
»Weißt du überhaupt, wohin es geht?«, fragte der Mann sie unwirsch. »Das ist eine hochgefährliche Front, direkt an der Feuerlinie. Das ist nichts für dich.«
Seltsam, diese spitze Stimme, die gar nicht zu seinem gewaltigen, etwas grobschlächtigen Äußeren passte, diesem zerfurchten Gesicht, diesem Blick, der sie durchbohrte, dieser Hässlichkeit, die fast schön war, männlich.
»Du kannst beruhigt sei. Ich weiß, was ich tue.«
»Zieh dich warm an«, erwiderte er. »Es ist sehr kalt. Aber du hast ja eine Lederjacke und Stiefel. Und sogar Wollhandschuhe.«
Mika meinte, in Guerreros Bemerkung einen ironischen Unterton vernommen zu haben, einen Vorwurf, aber sie beschloss, sich an die zuverlässige, gutmütige Ausstrahlung zu halten, die der Extremadurer nicht verbergen konnte und die ihr sagte, dass ein weiterer Mann soeben die Entscheidung getroffen
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