Die Capitana - Roman
Kähnen, Brücken, Quais, die Bouquinistes, bei denen sie stundenlang voller Entzücken in alten Büchern stöbern.
»Paris ist wie gemacht, um sich treiben zu lassen, zu genießen, zu lernen. Um zu lieben«, schreibt Mika in ein Heft, das sie mit blauem Einbandpapier eingeschlagen hat.
Blaues Heft, so nenne ich es, auch wenn nicht mehr davon übrig ist als das Wort blau, meine Notizen und ein paar verblasste Fotokopien. Dieses Heft, das du zwischen 1931 und 1933 geschrieben hast, habe ich vor vielen Jahren zusammen mit anderen Dokumenten Guy Prévan zurückgegeben, dem du deinen Nachlass anvertraut hattest.
Dass deine Aufzeichnungen unzusammenhängend und lückenhaft sind, stört mich nicht. Zwischen Berichten von euren Erlebnissen, Anmerkungen zu Büchern, Beschreibungen von Gebäuden und Landschaften, Merklisten und Zeitungsausschnitten leuchten mir Textstücke entgegen, in denen du mit der Detailliebe der flämischen Maler, die du so mochtest, dein Paris wiedergibst. Ich sinke in die weichen Kissen deiner Worte und genieße den Blick aus deinem Mansardenfenster in der Rue des Feuillantines, in der du mit Hippo gewohnt hast: auf die prächtigen Kastanienbäume vor dem Val-de-Grâce, die silbrig schimmernden Zinkdächer, die Liebespaare, die über den Boulevard de Port-Royal spazieren, die helle Kuppel des Observatoriums und diesen weiten Himmel von Paris, auf drei schlanke Schornsteine gestützt. Aus deinen Zeilen kommt mir der Gesang des verliebten Finks entgegen, das Durcheinanderkrächzen der Raben, die wie eine Zigeunerbande Station machen, das Gurren der Tauben und Schimpfen der Spatzen. Und ich kann sogar hören, wie ihr euch, in den Katzengesang auf dem Nachbardach einstimmend, der Liebe hingebt.
Ich staune über das Leben, das ihr geführt habt, so aufrichtig und frei und einem Auftrag verpflichtet, getragen von Ideen, Gefühlen und der gemeinsamen Leidenschaft für eine bessere Welt. Ich sehe euch so glücklich in dem blauen Heft.
Um sich weiterzubilden, ist die Stadt mit ihren Museen, Bibliotheken, der Universität, den Kursen, Vorträgen und Gesprächsrunden ein Paradies.
Kaum sind die Koffer in der lichtdurchfluteten Mansarde im Quartier Latin ausgepackt, sitzt Mika schon in der Sorbonne. Bei Monsieur Schneider, der über die klassische Schule in der französischen Kunst spricht, erfährt sie alles über die Geburt der Landschaftsmalerei. Eine bunte Zuhörerschaft füllt den riesigen Hörsaal Amphithéâtre Richelieu, darunter Deutsche, Engländer, Nord- und Südamerikaner.
Auf der Suche nach Henri Barbusse (mit dem sie in der Zeit von Insurrexit ein paar Briefe gewechselt haben), stoßen sie zur Gruppe Amis du Monde , die ihre Zeitschrift unterstützte. Und über sie öffnen sich ihnen neue Wege: Sie besuchen Kurse über Marxismus und Wirtschaft, Gesprächsrunden über Lenins Werk, den Imperialismus oder Rosa Luxemburgs Sicht auf die sowjetische Wirtschaft.
Die Diskussion zwischen einem Wirtschaftswissenschaftler und einem Philosophen, der sie beiwohnen, ist nicht nur deshalb hitzig, weil die Redner unterschiedliche Theorien und Positionen vertreten, sondern weil die unerschrockenen jungen Leute im Publikum beiden gehörig die Meinung sagen. Beachtlich, mit welcher Leidenschaft, auf was für einem hohen Niveau hier diskutiert wird und wie auch die Widersacher einander zuhören. Hippolyte Etchebéhère (er gebraucht nun wieder den Namen, den seine Familie ihm gegeben hat) macht mit einer intelligenten Zwischenmeldung auf sich aufmerksam, von da an richten sich die Fragen an ihn. Seine Antworten sind brillant.
Und dann sein makelloses Französisch, je suis fière de toi , sagt Mika hinterher zu Hause zu ihm und wundert sich nicht, dass der Ökonom Lucien Laureat ihn gefragt hat, ob er bei der überarbeiteten Neuausgabe von Das Kapital mitarbeiten möchte. Einen hellen Kopf hat sie an ihrer Seite.
Hippo studiert ernsthaft wie immer, aber er ist in Paris ein anderer. Sie beide haben sich verändert, vielleicht, weil sie in einer anderen Sprache sprechen? Wie sonderbar es ist, nach elf Jahren, in denen man in einer Sprache gesprochen, sich in ihr geliebt hat, die Sprache zu wechseln. Als würden sie sich gestatten, andere zu sein, sich noch einmal kennenzulernen, neu zu erfinden.
Er hat ihr in Patagonien Französischstunden gegeben, es würde ihr beim Lesen und auf Reisen nützlich sein, aber seit sie in Paris sind, redet er nur noch Französisch: Es ist wichtig, dass Mika die Sprache so schnell
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