Die Capitana - Roman
den Boden, stillhalten«, schrie Mika, unmittelbar bevor die Bomben explodierten. »Schon Antonio Guerrero hat gesagt, es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine Bombe in einen Schützengraben fällt.«
Trotzdem flüchtete sich Mika nicht in den Schützengraben, sondern unter eine Baumgruppe. Dicht am Boden, den Geruch nach Wurzeln und Harz in der Nase, brachte sie sich vor den ersten Bomben in Sicherheit. Wenn sie hier getötet würde, starb sie wenigstens unter freiem Himmel, dachte sie, noch immer gefangen in ihrer Angst, Erde könnte sie von allen Seiten erdrücken. Gerade einmal vier oder fünf Stunden war es her, es kam ihr so weit weg vor wie ein ganzes Leben. Wie müde sie war. Mika fiel in tiefen Schlaf.
Ob es an der Müdigkeit oder an deinem Zufluchtsort lag, ist nebensächlich, jedenfalls hast du überlebt und dir bewusst gemacht, dass es so nicht weitergehen konnte. Sieben Stunden Kampf am Stück waren zu viel.
»Wir brauchen endlich Ablöse«, sagte sie Oberstleutnant Ortega.
»Selbstverständlich, sie sind schon auf dem Weg. Mein Glückwunsch übrigens zu diesen tapferen Kämpfern.«
Viele der Milizionäre hatten Tränen in den Augen, als sie die Internationale anstimmten. Ehre den Kämpfern, ihren Verletzten, ihren Toten.
War es damals, Mika? Als deiner Kolonne zu Ehren die Internationale erklungen ist? Als Kommandant Ortega dir die Hand gegeben und dich vor deinen Milizionären zu deinem heroischen Einsatz beglückwünscht hat?
»Das ist Antonio Guerreros Verdienst«, sagte sie laut, und alles jubelte. »Und der dieser tüchtigen Kämpfer des POUM .«
Im selben Augenblick, vielleicht auch kurz davor, starb Antonio Guerrero in Madrid im Krankenhaus.
Zweiter Teil
16. Kapitel
Paris, 1931
In irgendeinem Märchen hat sie gelesen: Königskinder empfängt man auf roten Teppichen. Hippo und Mika sind keine Königskinder und wollen es auch nicht sein, aber während sie über diesen wunderschönen Teppich aus rötlich gefärbten Blättern gehen, den Paris ihnen zu ihrer Begrüßung auf Straßen und Wege gelegt hat, kann Mika nicht anders, als sich geschmeichelt zu fühlen. Paris empfängt sie in seiner ganzen Pracht, lädt sie ein, es zu genießen.
» Bienvenue, ma belle «, schäkert Hippolyte. »Wir werden zusammen sehr glücklich sein.« Als wäre er Paris, schließt er sie in die Arme.
Paris war in die zauberhaften Farben des Herbsts gehüllt, als ich es kennenlernte, und meine Faszination für diese Stadt sollte nie wieder erlöschen. Paris erwählte ich als meinen Platz auf der Welt, meinen Rückzugsort.
Wir kamen aus Spanien, vollkommen ernüchtert, denn dort hatten wir mitansehen müssen, wie die Republik brutal gegen alljene vorging, die auf den Straßen die Einlösung der republikanischen Versprechen forderten. Den ganzen Sommer 1931 hatten wir in Madrid verbracht. Das spanische Volk berührte uns. Die Euphorie, mit denen die Menschen auf den Demonstrationen die Trennung von Kirche und Staat forderten, ging auf uns über, doch wir mussten feststellen, dass die republikanischen Garden schon genauso knüppelten wie jede altgediente Polizei.
Im Oktober reisten wir nach Frankreich. Dort wollten wir uns eine Zeit lang ausschließlich unserer kulturellen und ideologischen Bildung widmen. Ein Luxus, den wir uns dank unserer Ersparnisse aus Patagonien erlauben konnten und den wir bestmöglich zu nutzen gedachten. Unser Plan war, nach Deutschland zu gehen, wo der Kampf aussichtsreicher schien, doch zuvor wollten wir uns so gut wie möglich vorbereiten und Kontakt zu politischen und gewerkschaftlichen Organisationen aufnehmen.
Frankreich bot uns weit mehr, als wir gedacht hatten. Wir studierten, wie wir es uns vorgenommen hatten, wir lernten Gleichgesinnte kennen, wir gewannen Freunde wie die Rosmers, René Lefeuvre und viele andere und unternahmen wundervolle, ausgedehnte Spaziergänge, wir reiften in vielerlei Hinsicht. Und wir genossen das Leben.
Alles an Paris fasziniert sie. Die Farben, Geräusche, Formen und Gerüche. Die Menschen. Die Dächer und Höfe, der Himmel, ob rosafarben, blau, silbrig, violett, rötlich oder schwarz, die Diskussionen, die malerischen Gässchen des Quartier Latin, die Theater, die Markthalle, die Aussprache des »r« und die Nasallaute, der Jardin du Luxembourg, die Bücher, die Gemälde und Skulpturen, die Denker und Künstler aus allen Ecken und Enden der Welt, der Käse, der Kaffee, die Kastanien, der Louvre und die vielen anderen Museen, die Seine mit ihren
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