Die Capitana - Roman
Dachkammer abbilden, was Mika fühlt, ein Drunter und Drüber widersprüchlicher Gefühle. Die Aufregung vor der Reise, die Unruhe, weil sie ihre Regel immer noch nicht bekommen hat, Schuld, Freude, Furcht.
Allzu hastig packt sie die Kleider zusammen, ein paar Bücher, das Heft, dann setzt sie sich auf den Koffer, bekommt ihn nicht zu, sie hat zu viel eingepackt und nicht genügend Kraft, Hippo muss das erledigen. Sie hätte es ihm sagen müssen, aber ausgerechnet heute, am Tag ihrer Abreise … Was überhaupt soll sie ihm sagen: Ich glaube, ich bin schwanger, ich fürchte, ich bin schwanger, ich bin ganz überwältigt von dem Gedanken, schwanger zu sein? Nein. Es besteht kein Grund, ihn zu beunruhigen, sie ist nur zwei Wochen überfällig, vielleicht ein wenig mehr. Und wieder, unerhört, dieses Bild von einem Kind.
Um es zu verscheuchen, geht sie in die Küche, sie holt den Weidenkorb und packt den Reiseproviant ein, Brot, bretonische Würste, Äpfel und Orangen, den Beaujolais, den ihnen der Händler in der Rue Claude Bernard empfohlen hat. In ein paar Tagen wird sie es ihm sagen, in Saint Nicholas de la Chapelle, wenn Hippo sich ein wenig erholt hat, sie beide, auch sie hat es nötig.
Zu schön um wahr zu sein, in ein paar Stunden fangen ihre Ferien in den Savoyen an. Was für ein Glück sie hatten, Nicole, eine von ihren Leuten, die die Gegend kennt, hat ihnen eine Unterkunft zum halben Preis angeboten, für insgesamt 1200 Franc, so viel zahlen sie in Paris auch. Die vergünstigten Fahrkarten hat ihnen Nicoles Sohn besorgt, mehr als sechs Stunden hat er dafür angestanden.
Endlich kommt er, Hippo soll den Koffer zumachen, sie bereitet derweil das Abendessen zu.
Der Zug fährt um Punkt zwölf. Morgen ist der erste August, ganz Paris geht in die Sommerpause, keine Bibliothek hat geöffnet, es gibt keine Kurse, keine Versammlungen.
Am Gare de Lyon brechen Hunderte Pariser in die Ferien auf, Stimmengewirr, Dampf, Hitze. Hippo hat die Fahrkarten und geht mit zügigem Schritt voran, sie haben noch reichlich Zeit, wollen aber möglichst schnell in den Zug einsteigen, um die schweren Koffer loszuwerden. Im Abteil sitzen bereits vier Passagiere, aus Schlafen wird also nichts, aber sie sind auch so zufrieden. Mika lehnt sich an Hippos Schulter und blickt aus dem Fenster. Das Paris, das in die Ferien aufbricht, ist so anders als das, das sich im Winter in den Metrostationen drängt. Das sind Arbeiter, die ihrer verdienten Erholung entgegensehen.
Das Pfeifen des anfahrenden Zugs, Hippo, begeistert wie ein kleiner Junge: Wir fahren los, Mikuscha, wir fahren in die Ferien.
Die Nacht im Zug ist lang, ihr Sitznachbar schnarcht laut, zum Glück ist Hippo, nachdem er mit allerlei Verrenkungen seine langen Beine untergebracht hat, eingeschlafen. Vorsichtig steht Mika auf. Die Toilette. Nein, immer noch nichts. Sie will noch eine Woche warten, und wenn es dann immer noch nicht so weit ist, wird sie es Hippo sagen. Wie wird er reagieren? Das Ruckeln des Zugs wiegt sie in wohlige Schläfrigkeit, plötzlich ist es wieder da, das Bild von dem Baby.
Was ist los mit ihr? Stimmt es etwa doch, dass die Mutterschaft die wahre Bestimmung der Frau ist, ihre natürliche Aufgabe? Natürlich? Was sind das für Gedanken? Das Fortbestehen der Art ist so natürlich wie ihre revolutionäre Berufung. Und ein Kind ist mit dem Leben, das sie gewählt haben, nicht zu vereinbaren. Die Fortpflanzung soll nicht vom biologischen Zufall abhängen, sondern vom Willen, sagt sie sich.
Keiner ihrer Gedanken scheint einen Sinn zu ergeben. Was gerade mit ihr vorgeht, ist viel simpler als alles, worüber sie so viel nachdenken: Sie liebt Hippo auf eine ganz neue Weise, ihr Körper begehrt Hippos Körper, weil sie ein Kind von ihm will, weil sie in einem Kind fortbestehen möchte. Ein primitiver Wunsch. Und so wahrhaftig, einfach da.
Um fünf Uhr früh ein Regenguss, um sieben strahlender Sonnenschein und um neun der herrliche See von Le Bourget, so vergeht die Zeit bis zum Mittag.
Mika ist eingeschlafen, und als sie aufwacht, sind sie schon in den Savoyen, entzückend die in den Tälern kauernden Häuschen, Dörfer in Rot und Grau, die Wasserfälle im Spielzeugformat.
Schon eine Woche. Die sonnigen Morgen auf der Terrasse, mit nichts auf dem Leib als einem Badeanzug, die Augen auf die samtenen, im Schatten liegenden Pinien geheftet, am Nachmittag Wanderungen, Lesen, Zärtlichkeiten. Gebräunte Haut und Wohligkeit, und darin abgekapselt die
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