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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wie möglich beherrscht. Ein Satz auf Spanisch, ein einziger, bettelt sie, nein, kommt nicht in Frage, und dazu sein neues, neckendes Lächeln: Sag’s auf Französisch, sonst kriegst du es nicht, schelmisch, sich erfreuend an seinem eigenen Spiel, an dem auch Mika langsam Gefallen findet. Wenn sie es auf Französisch sagt, ist es nicht ganz so echt, und so fasst sie wie ein Kind, das mit etwas Verbotenem spielt, immer wieder dieses Wort an, das ihr auf Spanisch seltsamerweise nie über die Lippen gekommen ist, warum gebraucht sie es dann jetzt auf Französisch? Ganz einfach, ihr neues Liebesleben fordert andere Bekenntnisse.
    » Je suis tombée amoureuse de toi . Ich bin in die Liebe mit dir gefallen«, übersetzt sie wörtlich, neckend. »Ich bin verrückt nach dir.«
    »Habe ich ein Glück«, jubiliert Hippo und lacht. »Nach elf Jahren wurde es auch Zeit.«
    Wie gut ist es, erwachsen, klüger zu werden und gleichzeitig ein Studentenleben zu führen, sich beflügeln zu lassen von den internationalen Aktivisten, den Diskussionen, den immer dringlicher werdenden Schritten hin zu einer besseren Welt und von der Liebe und der Energie, die sie sich gegenseitig spenden.
    Hippolyte und Mika lernen viel, nicht nur aus den Kursen und Büchern, sondern von den Menschen, denen sie überall begegnen, in den Bibliotheken und auf den Zusammenkünften der Partei, auf der Straße, dem Markt, der Post und sogar in der Metro.
    Die Metrostationen in Paris am späten Abend sind ihnen eine Lektion. Geredet haben sie viel über die Armut, mit den Freunden bei Insurrexit , den anderen Mitgliedern des PCO , untereinander; in Argentinien konnte Mika über die Armut nachdenken, aber erst auf den überfüllten Bahnsteigen der Pariser Metro und in den Straßen, wo Menschen in den Hauseingängen schlafen, wird sie für sie greifbar.
    Der Schnee ist schön und grausam, diejenigen, die kein Zuhause haben, bringt er fast um. Die Bänke der Metrostationen dienen Obdachlosen als Schlafstätten, wer frühzeitig kommt, kann sich mit dem Kopf an die Metallwand eines Tissot-Bonbonautomaten lehnen und so ein wenig Schlaf finden, die anderen kauern, den Kopf auf den Knien, auf den harten Bänken ohne Rückenlehne. Einigen sieht man an der gepflegten Kleidung, der Rasur noch an, dass sie bis vor kurzem Arbeit hatten, andere haben schon einen Bart stehen, und der Anzug ist staubig. Obdachlose gibt es in jedem Alter. Der Mann, mit dem Mika ins Gespräch kam, musste an die siebzig gewesen sein, gebeugter Rücken, ein an den Ellenbeugen blank gescheuerter Mantel, aus einer Tasche ragte ein Zollstock, sein schutzloser Blick hat sie erschüttert.
    Was für ein Privileg, denkt Hippolyte, in diesen bitterkalten Nächten nach Hause gehen zu können. Und dort mit seiner Frau Gespräche zu führen, die er noch genauso liebt – vielleicht sogar mehr – wie an dem Tag, als er sie kennengelernt hat. Die Mansarde ist eine richtige Wohnung geworden dank der Kästen, die er selbst gezimmert hat und die ihnen als Tisch, Schreibecke und Bücherregal dienen, und dank der Wolldecke, die sie aus Patagonien mitgebracht haben, den schönen Plakaten an den Wänden, die Mika in den Museen abgestaubt hat, und dem treuen Mefisto, ihrem Ofen, der eine bullige Wärme verströmt, sobald man ihn mit ein paar Kohlestücken füttert.
    In Mefisto brennt ein schönes Feuer, er hat sich bei dir angesteckt, schäkert Mika mit glühenden Wangen und diesem neuen Glanz in den Augen, der bei Hippolyte süße Trunkenheit, Begehren weckt.
    Seine Mikuscha ist so anders in Paris, aufreizender, sinnlicher.
    Auch er hat sich verändert, das sieht er selbst, als hätten sich ihnen über die intellektuellen und sinnlichen Anregungen, denen sie unentwegt ausgesetzt sind, andere Wege zueinander geöffnet: Eher hat Mefisto sich ihr angeglichen – entgegnet er ihr – eigentlich ihnen beiden.
    Sie haben die ganze Nacht vor sich, das ganze Leben, aber er will sie jetzt. J’ai envie de toi .
    Das sprühende Lachen, eine Hand, die sich nach ihr reckt, sie leicht berührt, schon schlägt der Funke über, sie wühlen sich ineinander, selbstvergessen, sich verlierend, um hinterher wieder jeder für sich zu sein, einzeln, großartig und zugleich klein, bescheiden und machtvoll, sanft, stark, zufrieden.
    Doch zum zweiten Mal in vier Monaten bedroht Hippos schwache Gesundheit ihr geballtes Glück. Er hustet, ist erkältet, dünn geworden, du musst dich ausruhen, bitte, redet Mika auf ihn ein, er darf nicht in

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