Die Capitana - Roman
ihr entsetzliches Misstrauen gegen die Arbeiter befremdlich, wie auch ihre Begeisterung für Hitler, denn sie war Jüdin. Eine deutsche Jüdin, betonte sie, als ob das einen großen Unterschied gemacht hätte.
Schwerer als Ilse Schwartz’ Verirrungen waren für uns die der Genossen in unserer Schule zu ertragen: Es gibt keinen Grund zur Sorge, Hitler wird keinen Monat an der Macht bleiben, es wird für uns ein Leichtes sein, die von ihm geblendeten Arbeiter umzustimmen, wenn sie unsere Partei verbieten, wird sie nur gestärkt daraus hervorgehen.
Und die Opposition gegen den Stalinismus, durch interne Streits zersprengt. Die Gruppe Wedding steuerte offenen Auges auf einen Bruch zu, unter der maßgeblichen Beteiligung von Jan Well. Er hatte genau gewusst, was er auf jener Versammlung angerichtet hatte, die Meinungsverschiedenheiten spitzten sich zu, bis sogar die Auflösung der Gruppe in den Raum gestellt wurde, doch sein Spiel blieb weiterhin unentdeckt.
Gleich nach dem Treffen wandte Hippo, der sich über unsere Aufregung im Klaren, aber dennoch davon überzeugt war, dass Jan Well im guten Glauben gehandelt hatte, mit der Bitte an ihn, vernünftiger zu sein. Verbale Angriffe würden den Zusammenhalt der Gruppe gefährden, erklärte er ihm geduldig an jenem schicksalsträchtigen Abend, der sich uns ins Gedächtnis einbrennen sollte, und nicht nur aufgrund des Reichstagsbrands. Die Schupos auf der einen und Jan Well auf der anderen Seite trieben uns immer weiter hinein in ein höllisches Labyrinth.
Schneidende, trockene Kälte. Mika geht schweigend zwischen Jan und Hipólito. Sie möchte sich lieber nicht in deren Gespräch einmischen, das würde auch nichts bringen, denn der durchtriebene Jan dreht und wendet die Wörter, jetzt ist er offenbar gerade mit Hipólito einer Meinung. Er spricht ihn an, aber Mika fängt seinen stechenden Blick ab. Jan ist an ihre Seite gekommen, allerdings hat sie dem keine Bedeutung beimessen wollen. Kürzlich hat Hipólito sie gefragt, ob es einen ihm unbekannten Grund gibt, warum Mika einen solchen Hass auf Jan Well hat. Einen Grund jenseits der ideologischen Zwistigkeiten, erklärte er vorsichtig. Nein, wie soll es etwas geben, von dem Hipólito nichts weiß, wenn sie doch immer zusammen sind, was immer da wäre, sie würde es ihm sagen, ein Schuldgefühl beschleicht sie, so oft schon hat sie versucht – auch jetzt, während sie die Straße entlanggehen –, dieses Schmutzige und Schmierige in Jan Wells Blick zu übersehen.
Aber sie wird diese Augen nicht los, sie beflecken sie, und was Mika aus ihnen herausliest, beschämt sie, doch warum Hipólito unnötig in Sorge versetzen. Einmal hat sie ihm gegenüber auch angedeutet, dass der Genosse Jan Well ein Spanner ist.
»Und was denkst du, Mika«, will Jan sie in das Gespräch, das er mit Hipólito führt, hineinziehen.
Der Mann, der an ihnen vorbeiläuft, erspart ihr die Antwort.
»Der Reichstag steht in Flammen«, verkündet er.
Was, sie können es nicht glauben, doch die Leute an der Ecke vorn sagen dasselbe: ein Brand wütet im Reichstag. Davon wollen wir uns mit eigenen Augen überzeugen, sagt Hipólito, und sie gehen über die Friedrichstaße in Richtung Reichstag.
»Wer macht denn so etwas Wahnsinniges.«
»Die Kommunisten, die Kommunisten, wer denn sonst?«
Mika daraufhin: Welches Interesse sollten die Kommunisten daran haben, den Reichstag anzustecken?
Es ist offensichtlich, dass dieser Einwand den drei jungen Männern, mit denen sie reden, nicht behagt, ein Funke, der einen weiteren Brand zu entfachen droht, sie sehen einander fragend an, und ehe sie einen Entschluss treffen, drängt Jan Well darauf, zu gehen. Ein paar Meter weiter mehrere Schupos. Die Kommunisten haben den Reichstag angezündet, sagt eine ältere Frau verstört. Schon wieder. Das ist eine grobe Provokation der Nazis, vielleicht ist es nicht klug, dorthin zu gehen, sie könnten festgenommen werden.
Sie nehmen einen anderen Weg, schlagen sich in die Auguststraße. Schreie kommen ihnen aus der Sophienstraße entgegen, in die sie soeben eingebogen sind. Leute rennen, ein Schupo schleift einen jungen Mann, fast noch ein Kind, an den Haaren hinter sich her. Hipólito will eingreifen, da taucht ein anderer Polizist aus der Dunkelheit auf, und noch einer, immer mehr, Befehle, rennende Menschen, Verwirrung, Arme schlingen sich um Mika und schubsen sie in einen Hausflur. Sie sind drinnen.
Jan Well hat rasch gehandelt. Mika will zurück auf die Straße,
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