Die Capitana - Roman
kein Jude. Wenn sie mich oder Kurt oder Katja festgenommen hätten, wer weiß, ob wir davongekommen wären. Nach diesem Schreck wurden wir vorsichtiger. Doch Ende Februar hatte sich bereits alles geändert. Die belebten Straßen, wo uns noch vor wenigen Monaten die politische Begeisterung so bewegt hatte, waren leer, keine einzige Fahne mehr, kein Gespräch. Von den Arbeitern verlassen, wie ausgestorben. Weit und breit weder Kommunisten noch Sozialisten, von einigen Orten hatten sich selbst die Nazis zurückgezogen, als hätte ihr eigener Terror sie ihnen vergällt.
Die Kampagne der Nationalsozialisten konzentrierte sich auf die Zerstörung des Marxismus: »Einer von beiden wird siegen, entweder der Marxismus oder das deutsche Volk«, Sozialisten und Kommunisten, die ganzen letzten vierzehn Regierungsjahre wurden in einen Topf geworfen.
Ein paar hoffnungsvoll stimmende Versuche, eine vereinte Opposition von Sozialisten und Kommunisten auf die Beine zu stellen, gab es, kleine Abmachungen, die dann wieder in engstirnigem Hickhack und Beleidigungen zerplatzten, denn zum Schulterschluss, zum vom Bürgertum gefürchteten Gegenschlag der Arbeiterschaft kam es nicht, und das hätte es gebraucht, um gegen die Nationalsozialisten etwas ausrichten zu können. Weder die einen noch die anderen hatten den politischen Willen zu einer gemeinsamen Front.
Die Provokationen gingen weiter, drei Mal noch besetzten die Nazis den Bülowplatz. Das letzte Mal, ein paar Tage vor den März-Wahlen, hatten wir das zweifelhafte Privileg, aus der Nähe zusehen zu können.
Wir standen im Eingang vom Kino Babylon, direkt am Bülowplatz, als eine Gruppe SA -Männer anrückte, um ihren Gründer, Horst Wessel, zu ehren, Märtyrer und Dichter, Held der Nazis. Wir wurden Zeugen einer dieser Choreographien, für die die Nazis so viel übrighatten: Fersen zusammenschlagen, kehrtmachen, die Braunhemden wie Hampelmänner brav in einer Reihe, Arme gereckt zum Gruß, gegrölte Befehle, Stechschritt.
Drei SA -Männer gingen ins Karl-Liebknecht-Haus, kletterten aufs Dach, und wenig später sahen wir die Fahne mit dem Hakenkreuz am Mast flattern.
»Wo sind die Kommunisten?«, »In den Kellern«, riefen sie einige Tage später im Chor, auf den spektakulären Fackelmärschen, die zur gleichen Zeit in mehreren deutschen Städten abgehalten wurden. Wir postierten uns an der Ecke Friedrichstraße, Unter den Linden. Schauererregend war dieses »Erwachen der Volksgemeinschaft«, das in Goebbels’ düsterer Phantasie Gestalt angenommen hatte.
Und dann die Kommunisten mit ihrer aberwitzigen These: »je schlimmer, desto besser«, »mit Hitler wird sich die Stimmung auf internationaler Ebene zuspitzen, und das wird die Revolution vorantreiben«. Irrsinn kennt keine Grenzen.
So auch bei Ilse Schwartz, mit der wir uns beim Nachhausekommen unterhielten. Sie war euphorisch, hatte mit dem Ohr am Radio den Fackellauf mitverfolgt und die Rede des Führers in Königsberg. Sie war ergriffen, erzählte sie uns, von der nazibegeisterten Menge, die sich die Seele aus dem Leib geschrien hatte: »Heil, heil, Hitler«. Und als er »Volksgenossen, Volksgenossinnen« gerufen hatte, hatte sie sich angesprochen gefühlt.
Ob sie auch Radio gehört hat, stichelte ich, als es durch die Straßen hallte: »Alle Juden nach Palästina, auf direktem Weg und ohne Wiederkehr«?
Aber sie wollen doch nur die galizischen, die polnischen Juden raus haben, erklärte sie uns, wir sind Deutsche. Auch sie mochte diese Galizier aus der Grenadierstraße nicht, nur wenige Meter von ihrem Haus, ebenso wenig diese Polen, die nach dem Krieg in Deutschland Geld gescheffelt hatten.
Es waren finstere Tage, überall hörte man Hitlers exaltiertes Gebrüll und eine Gesellschaft, die darin einzustimmen schien. Und am 5. März räumte die NSDAP wie erwartet bei den Wahlen ab: 44 Prozent.
Wie bei den vorherigen Wahlen gingen Hippo und ich in den Wedding. Wie anders alles geworden war, in den Straßen patrouillierten mit Revolvern bewaffnete Nazis, Polizei fuhr auf Motorrädern herum, höchstens das Fehlen jeglicher Fahnen an den Fassaden verkündete, dass dort noch Kommunisten oder Sozialisten wohnten, und in den Wahllokalen sah man kaum noch Plakate der Liste 3, der Kommunisten. Unglaublich, das alles in nur fünf Monaten.
»Wir sind besiegt. Auf demütigende Weise besiegt«, sagte Hipólito, »und die große Hoffnung, die wir auf Deutschland gesetzt haben, ist zerstört.«
Nie wieder, auch nicht im
Weitere Kostenlose Bücher