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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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auf, vor dem Sitz der KPD .
    Alle Zugänge zum Platz sind abgeriegelt. Bis zu den Zähnen bewaffnete Polizisten patrouillieren in der näheren Umgebung.
    Mika und Hipólito sind zu Fuß unterwegs, sie reden mit verschiedenen Leuten, die wie sie versucht haben, sich dem Bülowplatz zu nähern, ohne eine genaue Vorstellung davon zu haben, was sie dort wollen. Was wollen wir tun, was hätten wir tun sollen. Empörung, Wut, tiefe Verunsicherung. Sozialisten und Kommunisten reden, diskutieren, irgendwer schreit Rotfront, eine Marschkolonne scheint sich zu bilden, doch ein gepanzertes Auto, aus dem vier Maschinengewehre herausragen, vereitelt das Vorhaben.
    Weitergehen, weitergehen, so die wiederkehrende Anordnung der Polizei.
    »Die Partei hat die Leute angehalten, in ihren Vierteln zu bleiben, um dort die Nazi-Demonstration zu verhindern.«
    »Die Partei hat gesagt, wir sollen uns in der näheren Umgebung des Platzes versammeln.«
    »Was denn jetzt, was hat die Partei beschlossen?«
    Man weiß es nicht, die Verantwortlichen haben keine Anweisung bestätigt. Wie viele sind sie überhaupt, die zur Gewalt entschlossenen Kommunisten samt einigen Sozialisten, die sich um den Bülowplatz eingefunden haben? Tausende, aber in versprengten Gruppen, handlungsunfähig, machtlos.
    Für die Tragödie des deutschen Volks bedeutete der Bülowplatz einen Wendepunkt. Groß war die Bitterkeit, als wir an dem Abend geschlagen, mit hängenden Schultern nach Hause kamen. Von da an überschlugen sich die Ereignisse.
    Wenige Tage später kam es auf demselben Platz zu einer beeindruckenden Gegendemonstration der Kommunistischen Partei. Hundertzwanzigtausend Menschen, viele aus den entlegensten Stadtvierteln, versammelten sich. Es war bitterkalt. Wir stellten uns an eine Straßenecke, um zuzusehen, wie sie vorbeizogen. Entschlossen, stark, aufrecht. Dank Hippo konnte ich mir sie als Kämpfer vorstellen, die meisten von ihnen waren zum bewaffneten Widerstand fähig, aber diese Vorstellung wies ich sogleich von mir.
    Ich tat mich schwer damit, Waffen als Lösung zu akzeptieren, wohingegen Hippo sich von Jugend an – und vor allem nach der schmerzlichen Erfahrung in Deutschland – im Umgang mit Waffen geübt hatte. Welch Ironie des Schicksals, dass ich am Ende mehr von ihnen Gebrauch gemacht habe als er.
    Die jungen Deutschen, die wir auf jener beeindruckenden Demonstration bewunderten, sollten als Kanonenfutter im Zweiten Weltkrieg enden, ungeheuerlich.
    Keine zehn Tage waren seit dem Aufmarsch der Nazis auf dem Bülowplatz vergangen, als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Ein unglückliches Zusammenspiel politischer Versäumnisse verschaffte ihm die Stellung, nach der er seit 1925 gestrebt hatte. Schauererregend war der Triumphzug der Nazis mit ihren Fackeln durch das Brandenburger Tor. Von nun an häuften sich die Übergriffe: Schlägereien, Ermordungen, Verbotsdrohungen gegen die KPD, dreiste antisemitische Parolen, Anfeindungen gegen Sozialisten und Kommunisten.
    Eine einheitliche Front von sozialistischer und kommunistischer Partei, eine vereinte Arbeiterklasse hätte den Nationalsozialismus aufhalten können. Ein paar ernstzunehmende Versuche gab es auch, in den Liedern der Roten Front flammte Hoffnung auf, die jedoch gleich wieder erlosch, zunichte gemacht wurde von den kommunistischen und sozialistischen Führern mit ihren gegenseitigen Beschuldigungen und ihrer vollkommen abgehobenen Politik. Und die Leute an der Basis, ohne eine Chance. Als Einzelne zeigten sie bewundernswerte Opferbereitschaft und Mut, als Masse vollkommene Lähmung und Orientierungslosigkeit.
    Währenddessen bauten die Nazis ihre Macht aus.
    An Ilse Schwarz konnten wir im Lauf weniger Monate beobachten, wie das Nazi-Gift seine Wirkung entfaltete, die Verwandlung, die mit einem großen Teil der Bevölkerung vor sich ging.
    Ilse wählte die Sozialdemokraten, doch nach den Wahlen im November und den Gesprächen mit uns – besser gesagt, mit Hippo –, wandelte sie sich zu einer rabiaten Antikapitalistin, »Kommunistin vom Scheitel bis zur Sohle«: Hitler wird stürzen so wie andere auch, so ihre Überzeugung, aber es reichten die Reden des Führers im Radio, ein paar auf dem Markt aufgeschnappte Bemerkungen, um sie zu der Überzeugung zu bringen, dass man ihm eine Chance geben musste: Hitler wird den Deutschen Arbeit bringen, die Menschen setzen alle Hoffnungen auf ihn.
    Arme Ilse. Ich konnte sie nicht leiden und fand ihre kommunistische Überzeugung mit Blick auf

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