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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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schreien, verhindern, dass die Schupos Hipólito mitnehmen, was willst du?, dass sie dich auch noch festnehmen?, wenn wir festgenommen werden, können wir ihm nicht heraushelfen. Diesmal hat Jan recht, trotz aller Meinungsverschiedenheiten ist er ein Genosse, sie hat Herzklopfen, denn draußen ist ihr Liebster in Gefahr. Jan führt sie mit festem Griff. Der große Hof, von dem links und rechts die beiden Seitenflügel des Gebäudes abgehen, sie versuchen es bei einer Tür, sie ist verschlossen, die andere auch, doch die Tür zum Hinterhaus am Ende des Hofs geht auf, vor ihnen die Treppe, rauf, Mika, Jans erregter Atem in ihrem Nacken, warum diese Angst, die von ihr Besitz ergreift, etwas in ihr tanzt unruhig auf und ab, Jan Well beschützt sie doch, sie sitzen in einem Boot, er hat in der Wir-Form gesprochen, als er gesagt hat, dass sie Hipólito helfen werden, er ist ein Genosse und draußen der Feind, das ist nicht der Moment für Argwohn.
    »Du bleibst hier und verhältst dich still«, Jans Gesicht ganz nah an ihrem. »Ich gehe nachsehen, was mit Hippolyte ist, und komme wieder. Vertrau mir, wir kommen da schon wieder raus.«
    Hoffentlich. Zehn Minuten, eine mit düsteren Vorahnungen beladene Ewigkeit, kauernd in der Ecke des Treppenflurs im fünften Stock. Schritte, zum Glück ist es Jan und nicht irgendein Hausbewohner: Wir können nicht raus, Mika, es wimmelt vor Polizisten, sein Flüstern klingt erregt, hier sind wir in Sicherheit.
    »Und Hipólito?«
    Jans Kopfschütteln stürzt sie in Verzweiflung, sie entwischt, rennt nach unten, doch ehe sie den ersten Treppenabsatz erreicht, hat er sie eingeholt, nimmt ihr Gesicht zwischen die Hände, seine Finger auf Mikas Lippen, in der Verzweiflung hüllt er sie mit zärtlichen Worten ein, haucht: du darfst nicht gehen, sei bitte vernünftig, wenn du solchen Lärm machst, schreckst du noch die Nachbarn auf. Mika will sich ihm entwinden, Jan Well daraufhin ganz ruhig, besänftigend: Sie lassen ihn heute Abend oder morgen frei, und wenn nicht, ich kenne einen Anwalt, ich kümmere mich um Hippolyte, aber jetzt geh hoch, Mika, bring uns nicht in Gefahr.
    Jan Wells Hand streift ihre Taille, nur kurz, wie unabsichtlich, und Mika geht die Treppe hoch, oben angekommen schmiegt sie sich an die Wand, möchte Mauervorsprung sein, unsichtbar. Wenige Meter vor ihr steht Jan Well und sieht sie an, sie hört seinen Atem, kann sein Begehren spüren. Angespannte Dunkelheit. Sie sieht, wie er sich ihr langsam nähert, weiß, dass es nun wohl kein Entrinnen mehr gibt. Jans geöffnete Arme, die Hände an die Wand gestützt, zwischen ihnen Mika, die sich duckt: Vorsicht, Genosse, versucht sie, das wilde Tier zu besänftigen, Jans Leib bedrohlich nah: Keine Angst, ich tu dir nichts. Und im Widerspruch dazu kommt sein Gesicht immer näher auf sie zu: Ich will dich riechen, nur riechen, ich liebe dich, ich liebe dich auf Französisch, auf Deutsch, auf … Russisch?, Jans Mund, der Mikas Hals berührt, und als wären durch diese minimale Berührung alle Hemmungen verschwunden, fasst er sie an mit seinen gierigen Händen, ihren Rücken, ihren Po, lass mich los, Jan, ihren Busen, ihren Bauch, lass mich, Jans Körper, der sich an ihrem reibt, sie bedrängt, diese Geilheit, die sie knebelt, ihr Gewalt antut, sie erstickt, beschmutzt, ein schwaches lass mich, Jan, während sie auf die Dachluke über sich starrt. Es gefällt dir doch, das weiß ich, sein Atem an ihrem Hals, sie sieht sich selbst von oben, sag mir, dass es dir gefällt, diesem Wüstling ausgeliefert sein, was für eine Schmach, da hebt sie das Knie und stößt es mit aller Kraft gegen ihn. Und trifft. Jan Wells Hände lassen von ihr ab und bedecken den Schmerz, der schrecklich ist, und eine Demütigung, gehässig zischt er sie an, »Shlyuha«, Mika kennt das Wort nicht, aber sie kann sich leicht denken, was es heißt: Nutte.
    Rasch springt Mika auf die andere Seite des Treppenabsatzes, die Treppe, Jan könnte sie packen, sie prügeln, ihr Gewalt antun, vierter Stock, sie umbringen, noch eine Treppe und noch eine, dritter Stock, aber das tut er nicht, zweiter Stock, das wird er nicht, er will sie doch – ist das möglich? – verführen.
    Hof und Straße, trotz Eiseskälte fast behaglich. Zuerst Hipólito befreien. Ein Anwalt. Kurt und Katja.
    In diesen Tagen kam es zu Massenverhaftungen, viertausend Kommunisten und dazu noch etliche Sozialisten. Hipólito wurde am darauf folgenden Morgen frei gelassen. Er hatte Glück. Und er war

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