Die Capitana - Roman
Sanatorium, sah ich ihn so niedergeschlagen. Und so nervös.
An diesem Abend nach den Wahlen streiften wir noch lange durch die Straßen, auf der Suche nach Gesprächen und Trost, wenn es auch nur ein Schuss gewesen wäre.
»Die Arbeiter haben Waffen«, sagte er immer wieder, »und sie sind nach Stadtvierteln organisiert und werden sich wehren. Es wird Blut fließen, und die besten werden sterben.«
Am nächsten Tag hatte Hipólito hohes Fieber, und wir gingen nicht zum Treffen der Gruppe Wedding.
Katja erzählte uns, dass die Spaltung der Gruppe unmittelbar bevorstand.
Eine beachtliche Anzahl linksstehender Antistalinisten – sowohl in der von Landau angeführten Gruppe als auch bei den Leuten Trotzkis, wollte zurück in die Partei. Unter diesen Umständen!
Jan Well hatte seine Mission erfüllt. Während ein anderer Agent der russischen Geheimpolizei GPU erfolgreich Zwietracht bei den Trotzkisten gesät hatte. »Trotzkis Vorhersagen für Russland und Deutschland haben keine Gültigkeit mehr«, verkündeten sie, und die Gruppe zerbrach.
Die Linke, gespalten in ich weiß nicht wie viele Splittergruppen, verstrickt in ideologische und personelle Streitigkeiten, konnte nicht den geringsten Einfluss auf den Lauf der Dinge nehmen, sie war genauso kümmerlich, gelähmt und fassungslos wie die Gesamtheit der Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands.
Mika hat Hipólito nie von dem Vorfall in der Nacht des Reichstagsbrands erzählt, nur teilweise, wie sie in den Hausflur gelangt sind, von dem Versteck auf dem Treppenabsatz im fünften Stock, nichts davon, dass sie allein weggerannt ist, im Kopf das Bild des von Schmerz und Erniedrigung gepeinigten Jan Well. Sie hat zu verstehen gegeben, dass er ihr ängstlich vorgekommen war, ein Hosenscheißer, dieser Genosse, gefolgt von einem Lachen, nicht mehr. Wozu ihm das antun, die Ereignisse haben ihn schon genug mitgenommen.
Nur Katja erzählte sie es. Jan Well hatte die Gruppe Wedding zerstört, wozu sich weiter mit der Sache quälen, sie würden sich nicht mehr begegnen.
Doch da hast du dich geirrt, in Spanien sollten sich eure Wege abermals kreuzen.
Der Nachbar aus dem zweiten Stock malträtiert schon seit Stunden sein Klavier, langsam reicht es. Das Horst-Wessel-Lied erklimmt das Treppenhaus, kriecht durch Türen und Wände und nistet sich ein in Hipólitos Zimmer, bedrängt ihn. Diese grässliche Hitler-Hymne ist nicht auszuhalten, und Mika, die ihn beruhigen könnte, ist nicht da, sie hat sich mit Katja verabredet. Er vergräbt den Kopf unter einem Kissen, aber er hört es immer noch. Er ist mit den Nerven am Ende. Alles reizt ihn.
Vorhin war er sehr unfreundlich zu Ilse gewesen, die arme Frau, er hat sie, ohne es zu wollen, verletzt. Gleich nachdem Mika gegangen war, hatte sie bei ihm angeklopft, ob er einen Likör will, einen Tee, er lehnte ab, sie möge ihn entschuldigen, aber nein, er ist nicht zum Plaudern aufgelegt, will nachdenken, lesen, warum er so schlechter Laune ist, wollte sie wissen und kam ihm immer näher mit ihrem Parfüm und ihrem schönen üppigen Körper. Hipólito, der dieses Spiel schon kannte und ihm auszuweichen wusste, manchmal sogar mit Eleganz und Humor, blaffte sie nur an, was sie sich denn vorstellte, wie es ihm geht nach der schrecklichen Niederlage, die sie erlitten hatten, bar jeder Hoffnung.
Ilses tröstende Gebärde und das Klavier des Nachbarn mit dem Horst-Wessel-Lied, das war zu viel, und er, vollkommen unpassend: was sie denn denkt, was zu dieser Katastrophe geführt hat, dass sie versuchen müssten, das zu verstehen, Verantwortliche zu finden, Ilse lächelte nur, suchte irgendeine aus der Luft gegriffene Antwort, um diesen Besessenen zufrieden zu stellen, der immer weiter zu ihr sprach, als wäre sie eine Genossin: Man darf dieser Diskussion nicht ausweichen, Ilse, und so tun, als wäre nichts geschehen, man darf diese Niederlage nicht verharmlosen. Worte, die bei Ilse, die noch immer versuchte, sich ihm zu nähern, zärtlich zu sein, nur auf Unverständnis stießen: Mein lieber Hippolyte, beruhige dich, und seine Stimme so angespannt, dass er sie selbst kaum erkannte: Alle sind verantwortlich, die Komintern, die verdammten Bürokraten der Partei, die Arbeiterorganisationen, die Sozialdemokratie, die Schwachen, die Dummen, die Gleichgültigen, und obwohl er die Stimme nicht erhob, kam es wie ein Schrei: alle, auch du, Ilse, das Entsetzen in ihren Augen, wie konnte es sein, dass sie Hitler unterstützte, wie konnte
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