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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Paris. Kurt würde zu uns stoßen, sobald alle Aufgaben bei der Gruppe Wedding erledigt sein würden und der Artikel, an dem sie gerade arbeiteten, in dem Zweimonatsblättchen erschienen sein würde. Es fiel ihm schwer, sich von den noch verbliebenen 14 Genossen loszureißen. Aber Kurt und Katja waren wie ich jüdischer Abstammung, und die Razzien hatten schon begonnen.
    Von Paris aus könnten wir sehr gut arbeiten, versuchten wir uns gegenseitig zu ermuntern. »Ein Revolutionär steht nicht vor einer Sackgasse, sondern vor einem Problem, das er lösen muss«, war einer von Hippos Sätzen. Auf der langen und bitteren Zugfahrt musste ich an ihn denken.

20. Kapitel
Madrid –   Pineda de Húmera, November 1936
    Endlich geht es an die Front, im Schützengraben wird Mika sich von dem spannungsgeladenen Zwischenhalt in Madrid erholen. Keine Diskussionen mehr, wo man steht in der neuen politischen Landschaft, in der die Dienstgrade der Armee wieder eingeführt werden, schon ist von einheitlichem Kommando die Rede. Noch haben Gewerkschaften und Parteien die Gewalt über ihre Kolonnen, aber wie lange noch?
    Die so ersehnte wie gefürchtete sowjetische Hilfe ist eingetroffen. Am 28. Oktober 1936, drei lange Monate nachdem die italienischen und deutschen Flugzeuge zur Unterstützung der aufständischen Faschisten gekommen waren, trafen die ersten sowjetischen Panzer ein, am 11. November überflogen sowjetische Flugzeuge Madrid, und in ihnen eine effiziente Truppe aus Beratern, Militärs, Ökonomen und Agenten der GPU , der sowjetischen Geheimpolizei. Was die Genossen auf der Versammlung in Périgny vorausgesehen haben und was Mika nicht hat hören wollen, bewahrheitet sich. Die Kampagne gegen den POUM ist in vollem Gang, das Gewisper über Verrat wird immer lauter und vergiftet die Atmosphäre.
    Mika will am liebsten gar nichts mehr sagen seit dieser Versammlung im Quartier, bei der sie die Fassung verloren hat: die ersehnten Waffen und Techniker, na gut, die internationalen Brigaden, hervorragend, aber am Ende werden die Sowjets ihnen ihre Richtung aufdrängen, und die heißt Stalin. Über Stunden hatte sie ihren Genossen vom POUM zugehört, in ihr kochte es. Die Verantwortlichkeit der republikanischen Regierung, der Kommunistischen Partei, die Gefahr, dass der POUM seine Selbstbestimmtheit aufgeben muss, und, und, und …
    »Aufhören«, schrie Valerio sie an. »Das stimmt alles, aber das muss man nicht auch noch sagen, damit demoralisierst du nur die Milizen. Was bringt das? Wir müssen den Krieg gewinnen, und die internationale Unterstützung kommt uns dabei nur gelegen. Für mich kann ich sagen, solange Blut in meinen Adern fließt, werde ich weiterkämpfen.«
    »Du hast recht, Valerio, ich habe mich zu sehr gehen lassen.«
    Mika bat den Kommandanten, er möge mit den Milizionären reden, er kannte die Umstände besser. Letztlich ist Mika einfach zum POUM gegangen, weil er der Oppositionellengruppe Que faire , der sie in Paris angehört hatten, am nächsten stand, weil es dort Waffen gab, weil eine Kolonne mit Fahrzeugen …
    Während sie sich diesen Moment in Erinnerung ruft, fegt ein Sturm durch ihren Körper, ein stechender Schmerz, Glassplitter in ihrer Kehle, etwas zieht wie verrückt in ihren Eingeweiden. Das kann sie sich nicht erlauben, nicht jetzt, da es an die Front geht.
    An einem der letzten Abende in Madrid, als Mika vor dem elendigen Anblick der Flüchtlinge in der Metro floh und ziellos durch die Straßen irrte, landete sie, ohne dass sie es bewusst angesteuert hätte, vor der Tür ihres früheren Hauses. Ihr Haus, dabei hatte sie gerade ein paar Tage darin wohnen können, und doch hatten sie so viele Träume über dieses gemeinsame Vorhaben mit Vicente und Marie-Louise gehabt … Wie viele Jahrhunderte war es her, seit sie an jenem heißen Nachmittag aus dieser Wohnung fortgegangen war? Ein paar Monate nur.
    Mika stand wie gelähmt vor der Tür, unfähig zu irgendetwas, weder zu klingeln noch weiterzugehen. Vicente Latorre war an der Front in Lérida, hatte man ihr gesagt, aber wer weiß, vielleicht waren ihre liebe Freundin Marie-Louise und der kleine Jacques noch da? Unwahrscheinlich, bestimmt waren sie nach Frankreich geflohen.
    Dort in der Wohnung mussten ihre Bücher sein, ihre Hefte, ihre Decke aus Patagonien, das malvenrote Kleid, das Hippo ihr geschenkt hatte, die Briefe, auch der, in dem er ihr sagte, dass … Als hätte ein Geschoss mitten auf der Calle Meléndez Valdés eingeschlagen, rannte

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