Die Capitana - Roman
Mika zur nächsten Ecke, bog ein, rannte weiter, so schnell sie konnte, eine enge Straße hinunter, vorbei an einem Platz, Bäumen, noch mehr Straßen. Einer nach dem anderen lösten sich diese festen Knoten, die hartnäckig in ihrem Körper saßen, so alt wie die Kastanienbäume vor dem Val-de-Grâce, die ersten Tränen rollten ihr über die Wangen, ihr zunächst zaghaftes, unterdrücktes Schluchzen brach in aller Heftigkeit aus ihr heraus, während sie verzweifelt durch die Madrider Nacht rannte.
Eine Explosion in der Ferne und der Schein am westlichen Himmel stoppten ihre wahnwitzige Flucht. Mika bremste ihre Schritte, versuchte, sich zu entspannen.
Als sie ins Quartier in der Calle Serrano zurückkam, hatte sie ihre Fassung wiedergewonnen, aber sie mied die Blicke der Milizionäre, die auf sie warteten, sie sollten ihr nicht ansehen, dass sie geweint hatte.
Sie hatte es schon geahnt, aber an diesem Abend wurde es ihr zur Gewissheit: Die Nachhut tat ihr nicht gut, sie machte sie schwach.
Diese unvermeidlichen und so oft fruchtlosen politischen Diskussionen; all die schutzsuchend durch die Stadt irrenden Menschen; die Kinder, die die tödlichen Flugzeuge bereits an ihrem Geräusch zu unterscheiden wussten; die Metro-Stationen, finstere Höhlen, Schützengräben ohne Himmel, in die sich die unterschiedlichsten Menschen, vereint durch eine einzige Angst, hinab begaben.
Und dann die Erinnerungen, die hinter jeder Straßenecke lauerten, dieses Leben, aus dem nichts geworden war, dieses Hätte-sein-Können von damals.
Am besten gar nicht erst nachdenken, alles, was nicht Bestandteil dieses Krieges war, störte sie, schmerzte. An der Front lebte man von einem Tag auf den anderen, zum Grübeln ist keine Zeit, hatte Katja ihr gestern geschrieben.
Wie hat sie sich gefreut über Katjas Brief, den Juan Andrade ihr aus Barcelona gebracht hat. Sie sind bester Dinge, so wie die Revolution in Spanien vorangeht, wird das der internationalen Arbeiterbewegung einen kräftigen Schub geben, schreibt sie, das erleben sie Tag für Tag, Kämpfer verschiedenster Organisationen, Sozialisten und Kommunisten aus der ganzen Welt wollen sich den Milizen anschließen. Barcelona hat sich zum neuen Zentrum der internationalistischen Revolutionäre entwickelt. Die Leute des POUM haben keine Zeit, sie wollen sich auch nicht an den Diskussionen und Intrigen zwischen den unterschiedlichen Gruppen beteiligen und haben Kurt zum Koordinator und politischen Berater ernannt, um die Differenzen kleinzuhalten und die Kräfte zu bündeln. Wovon Landau seit Jahren träumt, einem neuen Zimmerwald, scheint jetzt in Spanien in greifbare Nähe zu rücken, er erarbeitet bereits ein Programm für eine Konferenz in Barcelona, an der Gesandte aus der ganzen Welt teilnehmen werden.
Wie gut es tut, bei ihren Freunden eine solche Zuversicht zu spüren, inmitten des so ungleichen Kriegs und dieser anderen, dumpfen Bedrohung, dem Stalinismus, der den POUM bedrängt.
In Madrid hat Mika sich von der Unruhe der Genossen des POUM anstecken lassen, doch jetzt, auf dem Weg zur Front, gibt es für sie nur eins, die nächste Schlacht zu gewinnen.
Sie sieht Corneta vor sich und ist gerührt. Vierzehn Jahre, noch ein Kind. Mika wollte es ihm um jeden Preis verbieten, aber sie hat ihn nicht abhalten können. Die Faschisten haben seine Brüder getötet, und er will kämpfen … jedenfalls mit ihnen gehen, auch wenn sie ihm kein Gewehr geben, er wird sich schon irgendwie nützlich machen können. Als hätte er Mikas Gedanken erraten, dreht der Junge sich lächelnd zu ihr um. Sie dürfen ihn nicht töten, bitte, sie dürfen ihn nicht töten.
Der eisige Wind beißt auf der Haut. Mika atmet tief ein, die kalte Luft betäubt sie von oben bis unten, und es packt sie ein seltsames Wohlgefühl. Nicht mehr lange, dann ist sie auf dem Schlachtfeld. Sie wird Entscheidungen treffen, zusammen mit ihren Milizionären kämpfen, ihnen Essen und Verpflegung bringen, Mut machen. Die Faschisten werden nicht durchkommen.
Die Faschisten werden nicht durchkommen, wiederholt sie und muss über ihre Tollkühnheit selbst lachen.
»Worüber lachst du«, fragt Valerio und nimmt sie am Arm. »Wer für sich allein lacht, erinnert sich an seine früheren Streiche.«
»Ich lache, weil ich zu mir gesagt habe, sie werden nicht durchkommen.«
»Sie werden auch nicht durchkommen«, bestärkt Valerio sie.
Er freut sich, sie so fröhlich zu sehen, doch gleichzeitig befürchtet er, dass bei ihr irgendwas
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