Die Champagnerkönigin
Weinbergen zu ihnen herüberklangen – all diese Morgengeräusche wirkten fremd und belebend zugleich auf sie. Statt ihre Haare in einem strengen Dutt zusammenzufassen, flocht sie sie nur rasch zu einem losen Zopf. Dann ging sie barfuß in die Küche, wo sie mit einiger Mühe den Ofen in Gang brachte. Nachdem sie zwei große Töpfe heißes Wasser aufgesetzt hatte, öffnete sie im Flur eine Tür nach der anderen. Die Speisekammer. Der Wirtschaftsraum. Die Waschküche. Und hier – das Bad, wie sie es in dem herrschaftlichen Haus vermutet hatte. Ein Waschtisch, ein Spiegel, ein verschnörkeltes weißes Eisenregal mit Handtüchern und eine emaillierte Badewanne, die direkt vor dem Fenster stand. Als Clara es öffnete, strömte sogleich der süße Duft von Rosen herein. Einer Eingebung folgend, ging sie hinters Haus, zupfte mehrere Hände voll lilafarbener Rosenblätter ab und sammelte sie in ihrer Schürze. Ein paar Blätter der frischen Pfefferminze, die zwischen den Rosen wuchs, pflückte sie ebenfalls, es folgten ein paar Rispen vom Lavendel. Zu guter Letzt gesellte sich noch eine Handvoll Verbene zu ihrer Sammlung – ob Isabelle überhaupt wusste, welche Schätze es in ihrem Garten gab?
Zurück in der Küche, stellte sie einen dritten Topf mit Wasser auf, dann warf sie bis auf die Verbene und eine Handvoll Rosenblätter ihre ganze Ernte hinein. Zufrieden beobachtete sie, wie sich das Wasser im Topf erst grünlich und dann rosa einfärbte und sich der zarte Rosenduft nun auch in der Küche ausbreitete. Als Nächstes machte sie sich auf die Suche nach einem Stück Seife, doch alles, was sie fand, war ein schmaler Keil alter Kernseife – für ihren Zweck keinesfalls ausreichend. In der Waschküche entdeckte sie einen Tiegel. In der Erwartung, dass sich darin eine braune seifige Lauge befand, hob sie den Deckel ab. Doch die Seife war weiß und sauber und roch besser als erwartet. Vielleicht setzten die Franzosen ihrer Schmierseife Duftstoffe zu? Zufrieden trug Clara ihren Fund ins Bad. Die Seifenlauge zusammen mit dem Kräuterauszug würden ein wohlduftendes Bad ergeben.
»Was treibt dich denn so früh schon um?«, fragte Josefine, die im Türrahmen auftauchte. »Isabelle schläft noch, und ich bin ehrlich gesagt auch noch müde.« Ein undamenhaftes Gähnen unterstrich ihre Aussage.
»Wir sind doch nicht zu unserer Erholung hergekommen«, sagte Clara ungerührt. »Hilf mir lieber, die Töpfe mit dem heißen Wasser ins Bad zu tragen und neues aufzustellen. Wenn der Kräuteraufguss fertig ist, will ich ein Bad für Isabelle zubereiten, das einer Königin würdig ist! Und für danach habe ich ebenfalls schon eine Idee.«
»Aha«, sagte Josefine.
»Erinnerst du dich, wie Isabelle uns einst zu Konnopke am Goethepark eingeladen hat, wo wir Reibekuchen gegessen haben?«, sagte Clara, während sich jede einen Henkel des großen Wassertopfes schnappte.
Josefines rätselnder Gesichtsausdruck vertiefte sich. »Wie kommst du ausgerechnet jetzt auf die fetttriefenden Kartoffelkuchen?«
Clara seufzte. Manchmal fehlte es der klugen Freundin wirklich an Vorstellungsvermögen. »Was würdest du davon halten, wenn wir fürs Mittagsmahl Reibekuchen zubereiten? Kartoffeln gibt’s in der Speisekammer, ein paar Äpfel für Mus habe ich auch gefunden. Vielleicht gelingt es uns, Isabelles Appetit mit einer typischen Berliner Speise wachzukitzeln?«
Isabelle tauchte so tief ins Badewasser ein, dass nur noch ihre Nase und ihre Augen aus dem Wasser hervorschauten. Ein paar Rosenblüten hefteten sich an ihre Lippen, sanft pustete sie sie fort. Das Wasser war warm und durch Claras Kräuterauszug herrlich parfümiert. Isabelle spürte, wie sich ihre verkrampften Glieder etwas lockerten.
»Das tut gut, nicht wahr?« Triumphierend schaute Clara auf sie herab. »Wenn du magst, wasche ich dir deine Haare …«
Noch bevor Isabelle etwas sagen konnte, machte sich Clara an Isabelles verfilztem Zopf zu schaffen. Geduldig ließ sie das Zupfen und Ziehen über sich ergehen, ebenso geduldig ließ sie zu, dass Clara eine seifige Lauge auf ihr offenes Haar auftrug. Clara meinte es schließlich nur gut.
»Kopf zurück!«, sagte die Freundin, und schon schwappte ein Eimer frisches Wasser über ihr Haupt. »Jetzt wirst du dich bestimmt wohler fühlen«, fügte Clara hinzu, als sich Isabelle kurze Zeit später ein Handtuch als Turban um den Kopf band. »Aber mach dir nichts draus, manchmal hat mein Tag einfach zu wenig Stunden, so dass ich
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