Die Champagnerkönigin
Sie mit dem Zucker anstellen?« Sie zeigte auf einen großen Leinensack mit der Aufschrift sucre , den sie jetzt erst entdeckt hatte.
»Ein bisschen Süße, Extrageschmack und Extrafarbe haben noch nie geschadet, Madame, Sie wollen doch, dass Ihr Jahrhundertchampagner etwas Besonderes wird«, sagte Grosse mit aggressivem Unterton. »Nun schauen Sie bloß nicht so entsetzt drein. Was ich hier mache, ist gang und gäbe, glauben Sie mir. Leider habe ich auf die Schnelle keinen Portwein bekommen, der ergibt nämlich ebenfalls ein sehr vollmundiges Bouquet.«
In Isabelles Ohren klingelte es auf einmal so laut, dass sie glaubte, vor Schwindel auf der Stelle ohnmächtig zu werden. Panscherei! In ihrem Weinkeller. Damit war das Fass endgültig übergelaufen.
Ihr rechter Arm schoss in Richtung Ausgang.
»Raus!«
»Was soll denn das schon wieder? Ich habe doch gerade erst begonnen, da kann ich doch jetzt nicht –«
»Raus!«, schrie sie erneut und ging mit ihrer ganzen Leibesfülle drohend auf den Mann zu. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte eine der Flaschen genommen, um sie dem Kerl über den Schädel zu ziehen.
»Sie sind entlassen. Packen Sie Ihre Siebensachen, und hauen Sie ab. Ich will Sie hier nicht mehr sehen!«
Gustave Grosse hatte sich gerade getrollt, als Isabelle einen so heftigen Stich in ihrem Unterleib verspürte, dass sie davon zusammensackte wie ein Klappmesser. Benommen ließ sie sich auf einem der Schemel nieder, die neben dem Tisch standen. Verflixt, sie durfte sich nicht so aufregen! Mit Macht zwang sie sich zu einer ruhigen Atmung. Ihr Blick fiel dabei auf die Holzfässer, die sich links und rechts entlang den Wänden stapelten. Darin lagerten die einzelnen Champagnersorten, die darauf warteten, zu einem Jahrhundertchampagner verschnitten zu werden. Vielleicht würde es ihr ja zum nächsten Jahrhundert gelingen, dachte Isabelle bitter.
Am Heiligabend machte sich Isabelle mit Micheline und Marie Guenin und Claude auf den Weg zum Gottesdienst. Ghislaine, die noch in ihrem Restaurant zu tun hatte, wollte direkt von dort in die Kirche kommen. Kleine, seidenweiche Flocken rieselten vom Himmel und setzten sich in Isabelles Haar.
»Weiße Weihnachten … Bei uns in Deutschland war das immer etwas ganz Besonderes, wie ein Geschenk«, sagte sie andächtig. Ihr Blick fiel auf die dünne Schneedecke, in der sie mit jedem Schritt frische Spuren hinterließen. Der Anblick hatte etwas so Jungfräuliches, so Verheißungsvolles, dass er Isabelle ein kleines Lächeln ins Gesicht zauberte.
»Über weiße Weihnachten freuen wir uns hier ebenfalls«, erwiderte Micheline, und die beiden anderen stimmten ihr zu. Die ältere Nachbarin zeigte auf die Häuser, an denen sie vorbeigingen. »An Heiligabend stellen wir gern Kerzen ins Fenster, schau nur, wie schön ihr Schein im weißen Flockengeriesel glänzt.«
Isabelle nickte ergriffen.
Der Abend bei Ghislaine wurde zu einer feuchtfröhlichen Angelegenheit. Vielleicht war es die kameradschaftliche Stimmung, vielleicht einfach nur Galgenhumor, jedenfalls schilderte Isabelle den Rausschmiss von Grosse so dramatisch, dass sich alle am Tisch vor Lachen bogen.
»Gut gemacht«, sagte Micheline unter Lachtränen und tätschelte ihren Arm.
»Und jetzt? Einen Jahrhundertchampagner wollte ich machen, und nun habe ich nicht einmal mehr einen Kellermeister.« Hilflos schaute Isabelle in die Runde.
»Besser keinen als so einen«, so lautete die einhellige Meinung. Und dass es nicht richtig war, am Heiligen Abend Probleme zu wälzen.
»Es gibt für alles eine Lösung«, sagte Micheline lakonisch, und Isabelle hätte ihr nur zu gern geglaubt.
Nach dem Essen stimmten Claude und Micheline Weihnachtslieder an, Marie und Ghislaine fielen in den Gesang ein. Als dann auch noch Claudes Hund zu jaulen begann, war das Gelächter erneut groß.
Isabelle, die weder die Texte noch die Melodien kannte, summte leise mit, während sie gegen eine tiefe Enttäuschung ankämpfte. Sie hatte sich so darauf gefreut, Daniel zu sehen. Als er bis zum Essen nicht aufgetaucht war, hatte Ghislaines Bemerkung »Bestimmt hat er in Épernay eine neue Liebschaft und feiert mit ihr das Fest der Liebe« ihre Laune noch weiter getrübt.
Der Gang in die Kirche hatte sie erschöpft, und obwohl sie nur wenig gegessen hatte, lagen die reichhaltigen Speisen ihr schwer im Magen. Sie sehnte sich nach ihrem Bett. Sich lang ausstrecken. Die Hände auf den prallen Bauch legen, schlafen und die letzten Tage
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