Die Champagnerkönigin
Weihnachtsfest in Reims begrüßen zu dürfen – ich gebe ein kleines Dinner für liebe Freunde«, hatte er zum Abschied gesagt. »Dabei könnten wir uns dann noch ein wenig näher kennenlernen.«
So wohl sich Isabelle in seiner Gesellschaft auch gefühlt hatte, sie hatte seine Einladung dennoch freundlich abgelehnt. In ihrem Zustand wollte sie nicht einen ganzen Abend lang an einem Tisch mit fremden Menschen sitzen, auch wenn es sich um Raymonds Freunde handelte. Außerdem hatte ihr seine Bemerkung bezüglich der »Frau seiner Träume« ein wenig Angst gemacht. Wie er sie dabei angeschaut hatte … Aber sie war eine hochschwangere Witwe, die Anfang des neuen Jahres ihr Kind zur Welt bringen wollte. Dass ein Mann sie anders wahrnahm, war eigentlich unvorstellbar. Ihr selbst stand der Sinn jedenfalls gewiss nicht nach einer Liebelei. Und trotzdem … Dass Raymond sie näher kennenlernen wollte, freute sie. Der Ausflug nach Reims war eine gute Idee gewesen, resümierte sie, als sie die Tür zu ihrem Haus aufschloss. Und Raymond Duponts Gesellschaft hatte ihr gutgetan.
Am nächsten Morgen klopfte es an der Tür, und als Isabelle in Claude Bertrands Gesicht sah, wusste sie sogleich, dass etwas Schlimmes geschehen war. Wie weggeblasen war das Wohlgefühl, der eiserne Ring aus Sorgen und Angst legte sich erneut um ihre Brust.
»Die Wölfe haben zwei Schafe gerissen«, sagte er und sah dabei selbst so grimmig aus wie ein Wolf. »Wir müssen uns etwas überlegen, Madame, um die Tiere zu schützen.«
Isabelle zog ihr Schaltuch enger um die Schultern. »Aber … sagten Sie nicht, die Tiere könnten auch im Winter draußen bleiben und dass wir lediglich Heu zufüttern müssen?«
»Normalerweise ist das auch so. Aber wenn die Wölfe auf ihrer Suche nach Futter schon jetzt durch die Weinberge streifen, deutet das auf einen ziemlich harten Winter hin. Und wenn sie einmal Erfolg hatten, so wie in dieser Nacht, werden sie wiederkommen, vielleicht sogar am Tag. Das bedeutet, wir müssen die Tiere im Stall unterbringen.«
»Den ganzen Winter über?« So viele Tiere auf solch engem Raum eingesperrt? Sie war zwar keine Expertin für Schafhaltung, aber dass das kein Idealzustand sein konnte, erkannte auch sie.
Claude zuckte mit den Schultern.
»Worauf warten wir noch?«, sagte sie und knöpfte sich ihre Jacke zu.
»Sie wollen sich diesen Anblick doch nicht allen Ernstes antun?« Die entsetzten Worte des Verwalters blieben als kleine weiße Wölkchen in der eisigen Luft stehen.
»Wen interessiert es, ob ich will oder nicht? Natürlich muss ich mir ein Bild machen, bevor ich irgendeine Entscheidung treffe«, gab Isabelle zurück und dachte sehnsüchtig an den warmen Grießbrei, den sie sich hatte kochen wollen. Wieder ein Tag, der anders verlief, als sie es gedacht hatte. Wieder neue Sorgen.
Der weiße Schnee war rot verfärbt. Dort, wo die beiden Kadaver lagen, waren es dunkelrote Flecken, die an den Rändern immer heller wurden. Die Wölfe – die vielen Pfotenabdrücke deuteten auf ein kleines Rudel hin – hatten sich an den gerissenen Schafen gütlich getan, indem sie sich zuerst über die Innereien hergemacht hatten. Die Mägen, die Leber, das Herz – nichts davon war übrig geblieben. Bei einem Schaf fehlte der Kopf, wahrscheinlich hatte ein Wolf ihn ins nächste Gebüsch geschleppt, um dort in Ruhe weiterfressen zu können. Fleisch, Gedärme und Fetzen von Fell lagen über eine beachtliche Fläche verstreut. Rund um die beiden toten Tiere stand reglos der Rest der Herde.
Isabelle schauderte. Der Kloß in ihrem Hals wurde immer dicker, Tränen stiegen ihr in die Augen. Dagegen waren ein paar explodierte Flaschen eine Lappalie …
»Tut mir wirklich leid, Madame, aber mit so etwas habe auch ich nicht gerechnet«, sagte Claude leise neben ihr. »Wölfe ernähren sich normalerweise hauptsächlich von Pflanzenkost. Dass sie so früh im Winter schon Schafe reißen, ist sehr ungewöhnlich und bedeutet nichts Gutes. Wir müssen künftig auch die Pfauen und die Hühner besser schützen, sonst sind sie mindestens so leichte Beute wie die Schafe.«
Isabelle wischte sich grob mit dem Ärmel über die Augen. »Sie wollen doch nicht sagen, dass sich die Wölfe so nahe ans Haus heranwagen?« Sie konnte nichts gegen den leicht hysterischen Ton in ihrer Stimme tun.
»Ich hoffe nicht, Madame.« Sein Blick war sorgenvoll. »Wenn ich einen sehe, werde ich ihn eigenhändig erschießen. Meine Flinte steht an der Haustür
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