Die Champagnerkönigin
bereit.«
Isabelle fühlte sich dadurch nicht sehr viel sicherer. »Erinnern Sie sich, wie sehr Leon von der Schafhaltung angetan war? Vielleicht habe ich deswegen an den Tieren festgehalten.«
Claude nickte.
»Leon würde es bestimmt nicht gutheißen, wenn ich sie fortgebe.« Doch Leon war tot. Sie hingegen war verantwortlich für die Lebenden. Sie gab sich einen Ruck. »Gleich nachher werden wir den Zaun rund ums Pfauengehege und den Hühnerstall kontrollieren und wenn nötig mit doppeltem Maschendraht verstärken, damit die Wölfe nicht auch dort ihr Unheil treiben. Und was die Schafe angeht … Es ist meine Schuld, dass das geschehen ist, ich hätte mich schon längst nach einem Käufer für sie umsehen müssen. Können Sie das bitte erledigen?«
Zwei Tage später wurden die Schafe vom Hof geführt. Isabelle beobachtete stumm, wie der neue Besitzer, ein Schäfer aus einem nahe gelegenen Ort namens Romery, die Tiere mit Hilfe seiner beiden Hunde gekonnt die enge Straße hinabtrieb. Im Grunde hätte sie sich schon viel früher zu diesem Schritt entschließen müssen. Ihre Aufgabe war es, sich auf die Champagnerherstellung zu konzentrieren. Die paar Francs, die durch den Verkauf der Wolle heraussprangen, machten sie nicht wesentlich reicher, wenn man die Kosten für Futter und Haltung der Tiere dagegen aufrechnete. Bei dem Schäfer waren ihre Schafe nun in kundigen und guten Händen – im Gegensatz zu ihr hatte er genügend Heuvorräte und einen großen, sicheren Stall, wo er sie gut durch den Winter bringen würde. Sie hatte also alles richtig gemacht.
Dennoch schmerzte sie der Anblick der davontrabenden kleinen Herde. Hatte damit der Ausverkauf des Weinguts Feininger begonnen? Wovon würde sie sich als Nächstes trennen müssen? Von einem ihrer Weinberge? Den Pferden?
Abrupt wandte sie sich von der Straße ab. Was für ein Unsinn! Bestimmt waren die Kälte und ihr dicker Bauch schuld daran, dass sie solche dummen Gedanken hegte. Für heute war damit Schluss, befahl sie sich streng. Es gab noch viel zu tun, bevor das Kind kam.
36. Kapitel
Einen Tag vor Heiligabend klopfte der Postbote an Isabelles Tür und lud schwer atmend eine Kiste Champagner von seinem Handkarren ab. Lächelnd erkannte Isabelle Raymonds elegante Schrift auf der Karte, die der Sendung beilag und auf der er nochmals seine Weihnachtseinladung erneuerte. Wäre ihre Situation anders gewesen, hätte sie zu seiner Einladung womöglich ja gesagt.
»Hier sind auch noch zwei Pakete aus Berlin«, sagte der Postbote.
Ein warmes Glücksgefühl erfüllte Isabelle.
Wieder im Haus, machte sie es sich im geheizten Salon gemütlich. Vorsichtig, als handelte es sich nicht um grobes Packpapier, sondern um feinste Spitze, löste sie die Verpackung von Josefines Paket. Die Freundin schickte eine elegante Weihnachtskarte, die mit Glitzerstaub überzogen war, außerdem zwei Päckchen, auf denen stand: BITTE ERST AM HEILIGEN ABEND ÖFFNEN . Bestimmt war darin etwas zum Anziehen fürs Kind, mutmaßte Isabelle, und vielleicht auch ein Schal für sie?
Auch in Claras Paket entdeckte sie ein buntverpacktes Bündel, dazu eine Blechdose mit selbstgebackenen Keksen, die schon durch die Verpackung hindurch nach Zimt dufteten. Die süße Verführung ignorierend, griff Isabelle nach dem Brief, den die Freundin dazugelegt hatte.
Berlin, am 13 . Dezember 1898
Allerliebste Isabelle,
ich hoffe, meine Zeilen erreichen Dich bei bester Gesundheit und frohem Mut. So kurz vor der Niederkunft wird das Leben für die werdende Mutter doch beschwerlich. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich durch die Wohnung gewatschelt bin wie eine Ente. Alles tat mir am Ende weh, die geschwollenen Knöchel, der Rücken, die Brüste … Gerhard meint immer, Schonung sei das Allheilmittel für jedes weibliche Zipperlein, doch wir wissen beide, dass sich das Tagwerk nicht von allein erledigt. Und so heißt es stark sein bis zum Tag der Niederkunft und darüber hinaus …
Lächelnd tätschelte Isabelle ihren Bauch, dessen Haut unangenehm spannte – noch sehr viel länger, und sie würde platzen! Von Ghislaine einmal abgesehen, hatte sie hier in Hautvillers keine Freundinnen in ihrem Alter, umso wohler tat es, Claras verständnisvolle Worte zu lesen. Rasch blätterte sie das dünne Briefpapier, das schwach nach Lavendel roch, um. Womöglich würde Clara doch schon zum Jahreswechsel anreisen? Dann hätte ihre Vorfreude keine Grenzen mehr …
Leider muss ich Dir eine schlechte
Weitere Kostenlose Bücher