Die Champagnerkönigin
Isabelle strahlte jeden, der ihnen begegnete, regelrecht an – schließlich handelte es sich um ihre neuen Nachbarn!
Nach wenigen Minuten gelangten sie auf eine Art Marktplatz. Hier waren das Rathaus, ein Bäckerladen und ein kleines Restaurant mit dem Namen Le Grand Cerf – »Der große Hirsch«. Eine sehr hübsche junge Frau mit lässig hochgebundenen Haaren kehrte schwungvoll den Eingangsbereich, und als die Kutsche vorbeifuhr, schaute sie auf. Ihre Augen glänzten wie dunkelbraunes Siegelwachs, doch sie erwiderte weder Isabelles Lächeln noch ihren Gruß. Dann eben nicht, dachte Isabelle.
»Schau mal!«, rief Leon und zeigte auf ein Schild, das am Gartenzaun eines Eckhauses angebracht war. Es wies den Weg zum Champagnergut Moët, der Pfeil ging nach links. Ein ähnliches Schild, das zu ihrem Weingut führte, sah Isabelle nirgends.
Die Pferde hatten die Kuppe des Berges und somit das Ende des Dorfes fast erreicht, als Isabelle hinter den Häusern zu ihrer Rechten auf einer weiteren kleinen Anhöhe ein prächtiges Gut erblickte. Es lag ein gutes Stück außerhalb des Dorfes, eine Baumallee führte darauf zu. Na endlich! Aufgeregt drückte Isabelle Leons Hand.
Tatsächlich bog die Kutsche nach rechts in eine der letzten Straßen des Dorfes ab. Die Häuser und Gärten waren hier größer, alles wirkte luftiger und weniger gedrängt als weiter unten im Dorf. Schön ist es hier, dachte Isabelle anerkennend, als die Kutsche auf dem Vorplatz des letzten Hauses auf der rechten Straßenseite anhielt. Ein Weiterfahren wäre gar nicht möglich gewesen, denn die Straße endete wenige Meter später in einem Kopfsteinpflasterkreis, dahinter begannen Gärten und Wiesen. Isabelle runzelte die Stirn. Zu dem Weingut auf dem Hügel weiter vorn kamen sie von hier aus nicht.
»Ich dachte, der Fahrer kennt den Weg! Und nun?«, sagte sie vorwurfsvoll zu Leon. Statt ihr zu antworten, sprang er mit einem Satz vom Wagen.
»Wir sind da, meine Liebe!«
Isabelles Enttäuschung darüber, dass es sich bei ihrem neuen Zuhause nicht um das Weingut in der Ferne handelte, war nicht von Dauer. Das langgezogene zweistöckige Haus von Leons Onkel lag zwar nicht herrschaftlich inmitten der Weinberge, sondern am Ortsrand. Es gab auch keine Baumallee, die auf das Haus zuführte, aber immerhin einen großen Vorplatz, auf dem etliche Kutschen Platz fanden. Es war außerdem das größte Haus in der ganzen Straße. » Champagne Feininger« stand auf dem ebenso schlichten wie eleganten Schild, das über dem zweiflügeligen Holztor in der Mitte des Gebäudes angebracht war. » Champagne Feininger« – ein wohliger Schauer durchfuhr Isabelle bei diesem Anblick, doch lange konnte sie sich ihrer inneren Vorfreude nicht hingeben, denn zu viele andere Eindrücke prasselten auf sie ein.
Das dunkelbraune Tor war so riesig, dass ihre Kutsche problemlos hätte hindurchfahren können. Und das Dach aus rostroten Ziegeln stand in einem angenehmen Kontrast zu dem weißen Putz und dem dunkelbraunen Holz, mit dem die Fenster eingerahmt waren. Überhaupt – die Fenster! Isabelle zählte allein im Erdgeschoss fünf Fenster links vom Tor und nochmals so viele rechts davon, das obere Stockwerk hatte die gleiche Anordnung, alles war perfekt symmetrisch und von daher äußerst wohlgefällig. In jedem der Fenster spiegelte sich die späte Nachmittagssonne.
»Und? Habe ich zu viel versprochen?«
»Das Haus ist wunderschön«, sagte Isabelle. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte sich gekniffen, um sicherzugehen, dass sie nicht träumte. Dieses Mal hatte Leon nicht übertrieben. Genau so hatte sie sich ein elegantes Landhaus vorgestellt!
Sie zeigte auf die Weinranken, die sich an den weißen Hauswänden emporwuchsen. »Wenn die austreiben, sieht das Haus bestimmt aus wie ein Märchenschloss.«
Leon verzog den Mund. »Der Wein gehört dringend zurückgeschnitten, siehst du nicht, dass sich die Ranken schon aufs Dach geschlängelt haben? Ich habe keine Lust, abzuwarten, bis sich die Triebe unter die Ziegel schieben und das Dach beschädigen.«
Isabelle warf ihrem Mann einen bewundernden Blick zu – Leon schien sich wirklich auszukennen. Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als ein älterer Mann um die Ecke bog. Er war schätzungsweise sechzig Jahre alt, trug Arbeitshosen und einen nicht ganz sauberen Kittel. Sein Gesicht war vom Wetter gegerbt, sein Blick freundlich. Auf dem Kopf trug er eine Mütze, unter der graue Locken hervorlugten. Neben ihm lief ein
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