Die Champagnerkönigin
Waschbecken. Das Herzstück des Raumes aber war ein großer Herd, in dem jemand ein Feuer gemacht hatte. Ausgekühlt von der langen Reise, hielt Isabelle ihre Hände über den Herd und genoss die abstrahlende Wärme. So einen ähnlichen Herd hatte es auch im Haus von Leons Eltern gegeben, und eines frühen Morgens hatte sie versucht, darin ein Feuer zu machen. Es war ihr nicht gelungen, immer wieder waren die Streichhölzer abgebrannt, ohne die Holzspäne, die sie dazugelegt hatte, entzündet zu haben. Leons Mutter hatte sie ob ihres verschwenderischen Umgangs mit den Streichhölzern gescholten, danach hatte Isabelle den Herd nie mehr angerührt.
Ein Topf mit Wasser stand auf der Eisenplatte und köchelte vor sich hin. Isabelle überlegte kurz, ob es nicht ratsam wäre, nach einer Angestellten zu rufen. Eine Tasse Kaffee oder Tee käme ihr nach der langen Fahrt sehr gelegen. Doch dann entschied sie sich, dass solche Bedürfnisse noch warten konnten, im Gegensatz zu einem anderen, sehr dringenden Bedürfnis. Schon seit einer Weile musste sie Wasser lassen, doch es war ihr zu peinlich gewesen, den Kutscher zu bitten anzuhalten.
Als sie nun die letzte Tür auf der rechten Seite aufstieß und ein Wasserklosett entdeckte, stöhnte sie vor Erleichterung auf. Zum Glück war Leons Onkel ein fortschrittlicher Mensch gewesen! Nicht auszudenken, wenn sie wie in Nothzeit aufs Häuschen in den Garten hätte gehen müssen. Schrecklich war das, ganz schrecklich. Doch jetzt kannte Isabelles Entzücken keine Grenzen, als sie entdeckte, dass an die Toilette noch ein kleines Bad mit Wanne grenzte.
Befreit stand sie kurze Zeit später wieder im Flur und war bereit, den Rest des Hauses in Angriff zu nehmen. Da die rechte Hausseite den hauswirtschaftlichen Belangen vorbehalten war, mussten die herrschaftlichen Räume links vom großen Eingangstor liegen. Statt die einzelnen Zimmer von einem langen Flur aus zu erreichen, trat man auf dieser Hausseite von einem Zimmer ins nächste. Der Vorteil dieser Raumanordnung war, dass es hier auch Fenster nach hinten hinaus gab, erkannte Isabelle.
Entzückt schaute sie sich im ersten Zimmer um. Es war ein großer Salon mit dunklen Möbeln und vielen Lampen. Zwei Sitzgruppen standen vor den Fenstern, die Sessel waren mit honigfarbenem Samt bezogen und wirkten komfortabel, wenn auch ein wenig abgelebt. Große Blumenbilder zierten die Wände, Tabletts mit farbigen Weingläsern verliehen dem Raum noch mehr Farbe und eine gewisse Leichtigkeit.
Probeweise setzte sich Isabelle in einen der Sessel. Die Aussicht auf das Tal jenseits der Bergkuppe war wunderschön. Auch hier gab es Rebenpflanzungen, so weit das Auge reichte. Eine reichte so nahe ans Haus heran, dass Isabelle das Gefühl hatte, durchs offene Fenster nach einem der Weinstöcke greifen zu können. Bestimmt waren das Feininger-Weinberge, frohlockte sie, und das Gefühl, angekommen zu sein in jedem Sinne des Wortes, wärmte sie mehr, als es jeder Ofen vermocht hätte. Im Geiste sah sie sich und Leon hier abends sitzen, nach getaner Abend, ein Glas Champagner in der Hand …
Auch der nächste Raum war eine Art Salon, allerdings waren hier die Wände größtenteils mit Bücherregalen verkleidet. Viele Fachbücher zum Weinanbau und der Champagnerherstellung befanden sich darunter, das erkannte Isabelle mit einem Blick. Dazu Bücher über Chemie und Technisches, aber auch etliche Romane, Biographien und uralte in Leder gebundene Kladden, deren Schrift sie nicht entziffern konnte – Isabelle nahm an, dass es sich um wertvolle antiquarische Kleinode handelte. Die meisten Bücher waren auf Französisch, andere auf Deutsch verfasst. Unwillkürlich musste Isabelle daran denken, wie sehr sie sich in Nothzeit nach Büchern gesehnt hatte. Eine eigene Bibliothek – langweilig würde es ihr hier jedenfalls nicht werden.
Der dritte Raum, den sie betrat, war eine Schreibstube, in deren Mitte ein riesiger Sekretär stand. Eine dünne Staubschicht hatte sich auf das gelbliche Wurzelholz gelegt. Isabelle hob missbilligend die Brauen – das Mädchen würde dringend Staub wischen müssen. Wie in den Salons zuvor gab es auch hier einen schönen Kachelofen. Bei so vielen Öfen mussten sie bestimmt nicht frieren. Sobald Leon ins Haus kam, würde sie ihn bitten, Feuer zu machen, schließlich wollten sie es an ihrem ersten Abend im neuen Zuhause gemütlich haben!
Jeder Raum strahlte etwas so Leichtes und Freudvolles aus, dass es ihr selbst auch immer leichter ums
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