Die Champagnerkönigin
Herz wurde. Woher dieses Gefühl kam, vermochte sie sich nicht richtig zu erklären. Rührte die Leichtigkeit daher, dass man die zweiflügeligen Fenster mit einem Handgriff öffnen konnte, so dass bei warmem Wetter Sonne und Licht das Haus durchdrangen? Oder waren die vielen Bücher, die farbigen Lampenschirme, die Ansammlung schöner Gläser dafür verantwortlich? Nichts wirkte gekünstelt, sondern so, als hätte derjenige, der hier gelebt hatte, Spaß an diesen Dingen gehabt. War das das viel beschriebene Französische »savoir vivre«? Das Leben genießen, mit allen Sinnen – hatte Leons Onkel Jacques so gelebt? Mit jedem Zimmer, das sie betrat, hatte sie das Gefühl, neue Facetten seiner Persönlichkeit zu entdecken. Wie schade, dass sie ihn nicht mehr kennengelernt hatte.
Nachdem sie im Erdgeschoss alles gesehen hatte, eilte sie die Treppe hinauf, wo sie die Schlafzimmer vermutete. Und so war es auch. Rechts gab es etliche kleine Kammern, die wohl den Dienstboten als Unterkunft dienten. Und im linken Hausteil lagen drei kleinere Schlafzimmer, die man sowohl als Gästezimmer wie auch als Kinderzimmer nutzen konnte. Der Hausherr schien im letzten Zimmer am Ende des Ganges geschlafen zu haben, denn es war das größte und prachtvollste von allen. Eingerichtet war es mit weißen Schleiflackmöbeln, die einerseits nicht so recht in das Haus passten, andererseits aber sehr attraktiv und elegant wirkten. Heute Abend würde sie hier in Leons Arme sinken, gemeinsam würden sie das Schlafzimmer auf ihre eigene Art einweihen … Isabelle seufzte sehnsüchtig auf. Im nächsten Moment wurde ihr Blick von einem goldgerahmten Bild angelockt, das über dem Bett hing. Ein Männerportrait in Öl. Das war doch … Leon, wie er leibt und lebt! Sogar die kleinen Grübchen links und rechts seines Mundes hatte der Künstler festgehalten. Und die braunen Locken, jede einzelne so detailgetreu, dass Isabelle nur staunen konnte. Aber wie kam es, dass Leons Onkel ein Gemälde seines Neffen im Schlafzimmer hängen hatte?
Im nächsten Moment fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Der Mann auf dem Bild war gar nicht Leon. Sondern Jacques selbst! Und die frappierende Ähnlichkeit konnte nur bedeuten …
Verwirrt starrte Isabelle das Bild an, dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. War das der Grund dafür, dass die Augen von Anni Feininger stets aufleuchteten, wenn Jacques’ Name fiel? War das der Grund dafür, dass Oskar Feininger stets so feindselig reagierte, wenn man auf seinen Bruder zu sprechen kam? Wenn Leon wirklich Jacques’ Sohn war und nicht der von Oskar Feininger, würde das auch das großzügige Erbe erklären …
6. Kapitel
»Es gibt keine Hilfe im Haus – was soll das heißen?« Isabelle lachte irritiert. »Und wem gehören dann die ganzen schweren Stiefel und Kleidungsstücke in dem Wirtschaftsraum, wenn nicht dem Knecht und der Magd?« Vergessen waren das Bild und die täuschende Ähnlichkeit zwischen Leon und seinem Onkel. Isabelle schaute ihren Ehemann über den Esstisch hinweg entgeistert an.
Da noch immer kein Mädchen aufgetaucht war, hatte sie die vorbereitete Brotzeit selbst in den Salon getragen. Von einem der vielen Silbertabletts hatte sie zwei farbige Weingläser genommen und eine Karaffe eiskaltes Brunnenwasser dazugestellt. In den Keller hatte sie sich jedoch nicht hinabgetraut, und so standen weder Wein noch Champagner auf dem Tisch.
Ohne ein Wort des Lobes für ihren Fleiß hatte sich Leon am Tisch niedergelassen und sogleich zu erzählen begonnen, was er bei seinem Rundgang mit dem Verwalter alles in Erfahrung gebracht hatte.
Hungrig biss er jetzt von seiner zweiten Brotscheibe ab und erklärte mit vollem Mund: »Claudes Frau Louise ist letztes Jahr gestorben, sie war die einzige Hilfe, die Jacques im Haus hatte. Danach hat er keine neue eingestellt. Die Wäsche hat er wohl außer Haus gegeben, die restlichen Arbeiten haben sich die beiden Männer untereinander aufgeteilt. Dieses System scheint funktioniert zu haben, denn nach allem, was ich gesehen habe, sind Haus und Hof bestens in Schuss.«
»Aber … Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich mich an den Herd stelle oder mit dem Staublappen wedele wie eine Magd! Und wer soll all die Tiere versorgen, von denen du mir erzählt hast? Und dann der riesige Gemüsegarten!«, rief Isabelle entsetzt aus. Zwei Pferde gebe es, eine Kutsche und zwei Wagen würden sie ebenfalls besitzen, hatte Leon begeistert berichtet. Dazu Hühner, eine
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