Die Champagnerkönigin
Gemeindepresse oder der Presse einer Kooperative verarbeiten zu lassen. Ich habe früher in einem Betrieb gearbeitet, dessen Keller fünf Kilometer von der Dorfpresse entfernt lag, also mussten wir zuerst die Trauben und später den Saft aufwendig hin- und hertransportieren. Da haben wir es hier auf dem Weingut Feininger sehr viel komfortabler.«
»Sehr gut!«, sagte Leon. »Dann kann ich mich voll und ganz auf den Verkauf konzentrieren.« Er wandte sich an Isabelle. »Auf meiner Radtour habe ich mehrere schöne und teuer wirkende Gasthäuser entdeckt, diese werde ich gleich in den nächsten Tagen einmal mit ein paar Flaschen Feininger-Champagner im Gepäck aufsuchen. Ich weiß wirklich nicht, warum Jacques sich die Mühe machte, seinen Champagner ausgerechnet in Amerika zu verkaufen, wo es hier Restaurants und Bistros in Hülle und Fülle gibt.«
Gustave Grosse nickte zustimmend.
»Ich sage dir, bald sind wir unsere Geldsorgen los«, flüsterte Leon Isabelle leise ins Ohr.
»Das hoffe ich sehr, denn sonst können wir uns einen neuen Verwalter suchen«, flüsterte sie zurück. Als sie Leons verwirrten Blick sah, fügte sie bedeutungsvoll hinzu: »Ich habe dir einiges zu erzählen. Später …« Dann zeigte sie auf das große zweiflügelige Tor und sagte: »Ich nehme an, die Trauben werden per Pferdewagen durch das große Tor angeliefert.«
»So ist es, Madame. Sehen Sie das Rohr hier? Durch dieses Rohr läuft der Traubenmost in ein großes rundes Fass ein Stockwerk tiefer. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen!« Gustave Grosse klemmte sich die angebrochene Champagnerflasche unter den linken Arm, öffnete eine schmale Tür in der Wand hinter der Presse und stieg eine Treppe hinab. Isabelle und Leon folgten ihm in eine Art Zwischenstockwerk, in dem die Decke so niedrig war, dass sie kaum stehen konnten. Düster und kalt war es auch.
Isabelle fröstelte erneut. Wenn sie das nächste Mal diese Tiefen betrat, würde sie sich einen dicken Schal umlegen.
»In diesem großen Fass werden die letzten Trübstoffe herausgefiltert. Die groben Teile wie Anbindedraht, Traubenkerne und Blätter bleiben ja schon beim Pressen zurück. Nur wenn der Saft absolut rein ist, kann ein guter Champagner daraus werden.«
Bisher war alles recht verständlich, dachte Isabelle, während sie dem Kellermeister im Schein seiner trüben Funzel eine weitere Treppe nach unten folgte. Dort war es noch kühler und die Beleuchtung ebenfalls spärlich. Blinzelnd schaute sich Isabelle in dem höhlenartigen Gewölbe um. Riesige Fässer lagerten auf hölzernen Stellagen links und rechts entlang der gemauerten Wände.
Im Champagnerkeller – Lithographie von 1908
»In diese Fässer hier wird der gereinigte Saft gepumpt. Sie sind aus ungarischer Eiche, darauf legte Monsieur Jacques immer sehr großen Wert.«
Isabelle hatte das Gefühl, in einer ganz eigenen Welt gelandet zu sein. Der Gedanke, dass sie fortan Teil dieser Welt sein durfte, erfüllte sie mit Freude und Stolz.
»Und wer sind diese Männer dort?«, sagte sie und zeigte auf ein paar junge Burschen, die im hinteren Teil des Kellers mit irgendetwas beschäftigt waren. Noch mehr Angestellte?
»Das sind altgediente Tagelöhner. Heute waschen wir die nicht in Gebrauch befindlichen Fässer aus, eine Arbeit, die ich unmöglich allein machen kann«, sagte der Kellermeister. Er zeigte hinter sich auf eines der Fässer. »Im Fass fermentiert der Saft zum ersten Mal, das heißt, es findet die erste Gärung statt. Die Hefen ernähren sich dabei vom natürlichen Zuckergehalt des Saftes und verwandeln ihn in Alkohol. Dabei entsteht ein enormer Druck, und damit nicht alles in die Luft fliegt, werden die Fässer nur zu zwei Dritteln gefüllt. Was passieren kann, wenn eine Flasche explodiert, habe ich am eigenen Leib erleben müssen.« Er tippte auf die Stelle in seinem Gesicht, wo ihm ein Auge fehlte.
Isabelle blinzelte betroffen.
»Und was haben diese Kreideaufschriften zu bedeuten?«, fragte sie dann und zeigte auf kleine Holztafeln, die an jedem Fass angebracht waren. Noch immer hatten sich ihre Augen nicht ganz an die Dunkelheit gewöhnt, sie musste sich anstrengen, um die Aufschriften lesen zu können. Außer der Funzel, die der Kellermeister trug, drang nur ein wenig fahles Tageslicht durch ein großes Holztor in der Wand.
»Hier vermerken wir, von welchem Weinberg die Trauben stammen, welche Sorte sich gerade im Fass befindet und wann der Most abgefüllt worden ist. Denn natürlich darf immer nur
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