Die Champagnerkönigin
Leons Kleidung selbst in der Waschküche aufhängen müssen. Frische Kleidung hatte sie sich ebenfalls selbst heraussuchen müssen. Und wo sie schon einmal dabei war, hatte sie gleich noch ihre Koffer ausgepackt. Dieses Mal hatte sie sich dabei wesentlich besser gefühlt als in Nothzeit!
»Dass man zwischen den einzelnen Weinbergen so weite Wege zurücklegen muss, ist ein bisschen unpraktisch, findest du nicht?« Isabelle gähnte hinter vorgehaltener Hand.
»Diese Landzerstückelung kenne ich aus der Pfalz ebenfalls. Erbteilung, Streit, Schulden … so etwas kann schnell gehen. Stell dir vor, zwei Nachbarn sind zerstritten und einer verkauft einen schmalen Streifen seines Landes an der Grenze zu seinem Widersacher – schon hast du drei Äcker statt nur zwei. Und wenn der neue Besitzer seinen schmalen Streifen Land zu gleichen Teilen später seinen beiden Söhnen vermacht, wird es noch unübersichtlicher«, entgegnete Leon. Er hatte von seiner Radtour ein frisches Baguette mitgebracht, welches er nun in fingerdicke Scheiben schnitt. Den Brotkorb stellte er zusammen mit einer Flasche Champagner auf den Tisch. »Diese Zerstückelung der Lagen hat aber auch ihr Gutes, denn wenn auf einem Weinberg der Hagel niedergeht, hat man immer noch die Hoffnung, dass andere Lagen verschont bleiben.« Er schenkte den Champagner großzügig in zwei geschliffene Gläser ein.
Isabelle lächelte. Fortan würden sie Champagner trinken können wie andere Leute Wasser – was für ein Leben!
»Irgendwie gefällt mir dieser Grosse nicht«, sagte sie zwischen zwei Bissen des luftigen hellen Brotes. Die Kruste war knusprig gebacken und schmeckte einfach köstlich. »Er hat eine unangenehme Art und auf alles eine Antwort. Dabei habe ich längst nicht alles verstanden. Es kann doch nicht sein, dass bei uns Weinberge brachliegen! Nach allem, was ich heute gehört habe, gibt es doch kaum wertvolleres Land als das hier in der Champagne.« Isabelle nahm einen Schluck von dem für ihren Geschmack viel zu süßen Champagner. »Und dann das Unkraut vom Vorjahr, wenn man es jetzt noch überall sieht, möchte ich mir nicht vorstellen, wie die Weinberge aussehen, wenn alles sprießt und wächst. Wahrscheinlich richtig verlottert!« Sie schüttelte missmutig den Kopf. »Wenn du mich fragst, ist dieser Grosse ein fauler Hund, der sich lieber am Champagner gütlich tut, statt sich um die Pflege der Weinberge zu kümmern.«
Leon schaute seine Frau halb erstaunt, halb verärgert an. »Du tust ja gerade so, als wärst du die Expertin auf diesem Gebiet! Sei lieber nicht so vorschnell mit deinem Urteil, gib dem Mann eine Chance, sich zu beweisen. Wenn er sein bester Kunde ist, wird er auch etwas von Champagner verstehen, oder etwa nicht?« Er lachte.
»Du hast ja recht – im Grunde kann ich mir kein Urteil erlauben«, gab Isabelle zu. »Vielleicht ist es wirklich am besten, erst einmal alles wie bisher weiterlaufen zu lassen.« Doch trotz dieses Vorsatzes blieb das unangenehme Gefühl in ihrem Bauch, das die Begegnung mit dem Kellermeister ausgelöst hatte.
9. Kapitel
Am nächsten Morgen wurde Isabelle vom Krähen des Hahnes geweckt. Im ersten Moment konnte sie das fremde Geräusch gar nicht einordnen, und als sie erkannte, wer so laut den Morgen verkündete, musste sie lächeln. Während sie sich dicke Wollsocken und eine Strickjacke anzog, fiel ihr Blick auf Leon, der noch immer den Schlaf des Gerechten schlief. Wen wunderte es? Sie waren wieder einmal erst sehr spät zur Ruhe gekommen …
Im Erdgeschoss machte Isabelle zuerst Feuer im Küchenherd. Im fahlen Morgenlicht saß sie kurze Zeit später in der Bibliothek des alten Jacques am Fenster und las in einem Buch mit dem Titel Drei Schritte zur Bodenaufbereitung in Weinbergen . Vom Oberboden, dem Mutterboden und dem Unterboden war dort die Rede. Vom Homogenisieren und Austauschen. Von Vegetationsschichten und Puffervermögen. Damit soll sich Leon beschäftigen, beschloss Isabelle nach wenigen Seiten und zog ein anderes Buch aus dem Regal. Es war in französischer Sprache geschrieben und trug den Namen Études sur la bière. Ein gewisser Louis Pasteur beschrieb darin, dass Hefe aus sogenannten Mikroorganismen bestand, die von essentieller Bedeutung für jegliche Gärungsprozesse, also auch für die des Champagners, seien. Ohne diese Hefe fände gar keine Fermentation statt, behauptete dieser Pasteur und bewies es in Laborversuchen. Als Isabelle bei seiner Beschreibung der diversen Wildhefen
Weitere Kostenlose Bücher