Die Champagnerkönigin
Notizbuch, legte sie Claude Bertrand auf den Tisch und sagte mit bemühter Sachlichkeit: »Bei meinem Rundgang habe ich eine Liste mit dringend nötigen Reparaturen erstellt. Ich bin gern bereit, bei allem zu helfen, wichtig ist nur, dass wir die Aufgaben so schnell wie möglich angehen.«
Claude Bertrand schaute von der Liste zu Isabelle. »Madame, Ihre Bemühungen in allen Ehren, aber … so einfach ist das alles nicht.«
» Was ist nicht so einfach?«, sagte Isabelle und stemmte sich gegen das unangenehme déjà-vu , dieselben Sätze schon einmal gehört zu haben, und zwar gestern Abend von Leon.
»Madame, am besten sage ich es Ihnen ganz schonungslos: Es ist kein Geld da für Reparaturen, sonst hätte ich doch schon längst Hand angelegt! Glauben Sie, es macht mir Spaß, alles so verkommen zu lassen? Aber es gibt kein Geld für Holz und Nägel oder für neuen Draht – nicht einmal Geld für Heu und anderes Viehfutter haben wir! Die Möhren, die ich den Pferden vorhin gebracht habe, stammen aus meinem eigenen Vorrat. Ich selbst habe seit drei Monaten keinen Lohn mehr erhalten, lebe von meinen Ersparnissen, doch die schwinden dahin …« Der Verwalter hob in einer resignierten Geste beide Hände und ließ sie dann in den Schoß fallen.
»So leid es mir tut, Madame, aber ich will überleben. Und deshalb muss ich mich wohl oder übel nach einer anderen Stelle umhören.«
8. Kapitel
»Und? Schmeckt er Ihnen?« Erwartungsvoll schaute Gustave Grosse Isabelle und Leon mit seinem rechten Auge an. Dort, wo sein linkes Auge sitzen sollte, trug er eine Augenklappe. »Ein Unfall«, hatte er beiläufig bemerkt, als er Isabelles fragenden Blick sah.
Als der chef de cave am späten Nachmittag vorgeschlagen hatte, die Kellerbesichtigung mit einer Weinprobe zu beginnen, hatte Isabelle das für eine gute Idee gehalten. Nun war sie sich nicht mehr so sicher, denn während Leon und sie noch immer am ersten Glas nippten, war ihr Kellermeister schon bei Glas Nummer drei angelangt. Bald würde der Kerl im Vollrausch sein! Je mehr er trank, desto mehr zuckte sein Auge, was Isabelle äußerst irritierte.
Krampfhaft versuchte sie, sich auf die Aromen in ihrem Glas zu konzentrieren, doch im Gegensatz zu ihrer Weinprobe bei Raymond Dupont in Reims konnte sie nichts herausschmecken, keine Zitrusfrüchte, keinen Duft nach Vanille oder sonstigen Aromen. Vielleicht war sie einfach zu aufgeregt? Immerhin handelte es sich hier um ihren eigenen Champagner.
»Er schmeckt sehr süß«, sagte sie vage.
Gustave Grosse nickte stolz. »Das ist Champagner der alten Schule! Diese Art der Herstellung habe ich schon in der südlichen Champagne gelernt, bevor die Reblaus all unsere Weinberge zerstört hat. Wissen Sie, ich halte nichts von der neuen Mode, Champagner trocken wie eine ausgedörrte Pflaume zu machen. Wein muss süffig sein, dann trinkt man gern ein Glas mehr, nicht wahr, Monsieur?«
Leon nickte.
»Ist Feininger-Champagner eigentlich sehr beliebt?«, fragte Isabelle. »Ich meine, es gibt doch so viele Sorten, und die Konkurrenz ist groß. Als wir in Reims zum Essen ausgegangen sind, wurde er jedenfalls nicht ausgeschenkt.«
»Reims!« Gustave Grosse winkte abfällig ab. »Champagner können Sie überall auf der Welt verkaufen, nicht nur in Reims. Wenn die Leute das Wort Champagner hören, bekommen sie glänzende Augen, ganz gleich, um welche Marke es sich handelt. Natürlich gibt es größere Namen als Feininger, aber sollten Sie sich auch einen besonderen Namen wünschen, wäre das gar kein Problem. Ich kenne einen alten Mann, der war früher einmal Fleischer, er heißt Ives Pommery. Wenn Sie den einstellen, können Sie Ihren Champagner umtaufen in Champagne Pommery! Dann bringt das Getränk gleich noch mehr Geld ein.« Der Mann lachte vergnügt.
Isabelle glaubte nicht richtig zu hören. »Das ist doch Betrug!«
»So würde ich das nicht sagen, Madame. Es ist alles eine Frage der Betrachtungsweise. In Amerika sind die Kunden richtig verrückt nach besonderen Namen.«
»Aber –«
»Darüber können wir ja noch in Ruhe nachdenken«, unterbrach Leon sie beschwichtigend. »Vielleicht sollten wir erst einmal mit der Besichtigung beginnen.«
Der chef de cave zeigte auf die Gerätschaft, die Isabelle schon bei ihrem ersten Rundgang durchs Haus hinter der großen Tür entdeckt hatte. »Eine solche Weinpresse haben nur die wenigsten vignerons , die meisten müssen ihre Trauben viele Kilometer weit fahren, um sie in der
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