Die Champagnerkönigin
die Höhe, so dass Isabelle es direkt vor den Augen hatte.
»Dieser Champagner ist handwerklich äußerst nachlässig gemacht worden, davon zeugen die Trübstoffe und die geringe Perlage. Geschmacklich ist er ebenfalls am untersten Ende anzusiedeln. Er weist keinerlei Fruchtaromen auf, er besitzt keinerlei Komplexität.« Als er Isabelles fragenden Blick sah, fügte er hinzu: »Kein Charakter und nicht die Spur von Charme, verstehen Sie? Der Kellermeister, der diesen Champagner verbrochen hat, hat es sogar geschafft, die Herkunft des Weines zu verschleiern, denn es ist nicht einmal der Hauch von Kreide und Kalk wahrnehmbar. Dabei leben wir hier auf einem riesigen Berg Kreide, der lediglich mit einer dünnen Schicht Humusboden überzogen ist. Das muss man schmecken, riechen, fühlen!« Raymond Dupont klang plötzlich geradezu wütend, als empfände er den Wein als persönlichen Affront.
»Aber heißt es nicht, alles im Leben sei Geschmackssache?«, sagte Isabelle mit dem letzten Rest Hoffnung, den sie aufbringen konnte.
»Wollen Sie mit mir über schlechten Geschmack streiten?« Raymond schaute sie mitfühlend an.
Isabelle blickte ihn betroffen an. »Und die Absatzchancen für diesen Champagner – wie schätzen Sie diese ein?«
»Die Absatzchancen«, wiederholte Raymond, als wollte er Zeit schinden. Er schien einen Augenblick lang mit sich zu kämpfen, dann suchte er Isabelles Blick und sagte: »Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber solch eine süße Limonade können Sie heutzutage kaum mehr an den Mann bringen, zumindest nicht hier in Europa. Vor zwanzig Jahren sah das noch anders aus, damals herrschte ein anderes Geschmacksempfinden, ein Champagner musste so süß wie möglich sein. Aber die Zeiten, in denen man unendlich viel Zucker oder Sirup zugab, um die fehlende Süße unserer Champagnertrauben zu kompensieren, sind vorbei. Heutzutage sind die Techniken der Kellermeister so weit gediehen, dass sie mit dem, was einst der große Nachteil unserer nördlichen Lage war – die fehlende Süße nämlich – virtuos auftrumpfen. Sie setzen Säure und Süße in ein ausgewogenes Verhältnis – und der Champagnertrinker ist entzückt und bereit, ein kleines Vermögen dafür zu zahlen.« Er stellte das Glas ab und trank aus einem bereitgestellten Glas einen großen Schluck Wasser.
Isabelle saß wie ein begossener Pudel daneben. Es kostete sie alle Mühe, nicht loszuheulen. Irgendeinen heiteren Satz zu äußern, mit dem sie dem Moment die Schwere hätte nehmen können, dazu war sie nicht mehr in der Lage.
»Nun lassen Sie den Kopf nicht hängen, Madame Feininger. Vielleicht gibt es noch die Chance, den Wein irgendwo in weniger verwöhnten Landstrichen an den Mann zu bringen.«
Wie vom Donner gerührt saß Isabelle da. Bitte, lieber Gott, lass das nicht wahr sein.
Und sie hatte Leon verdächtigt, nicht alles gegeben zu haben …
»Wäre vielleicht Russland eine Option?«, fragte sie so geschäftsmäßig wie möglich.
Der Champagnerhändler schüttelte den Kopf. »Die Russen sind zwar für ihren süßen Zahn bekannt, aber auch für ihren Appetit auf das Beste vom Besten.«
»Na gut. Würde es Ihnen denn etwas ausmachen, die anderen Flaschen auch noch zu testen?«, krächzte Isabelle mit dem letzten bisschen Spucke, das ihr zur Verfügung stand.
1 4. Kapitel
»So viel Geld für ein paar Halsketten?« Fassungslos schaute Leon auf den Berg von Münzen, den Isabelle mit einer nonchalanten Geste auf den Tisch geworfen hatte.
Sie lächelte. »Natürlich habe ich mit einer stattlichen Summe gerechnet, aber dass der Juwelier in Reims mir so viel für meinen Schmuck zahlt, hat mich auch überrascht. In deutsche Währung umgerechnet sind das über vierhundert Mark.«
In der Küche roch es verführerisch nach dem Fleischragout, das Isabelle aufgesetzt hatte, nachdem sie aus Reims zurückgekommen war. Zwei Pfund Rindfleisch, dazu eine ganze Pastete und etwas Schinken – Isabelles Tasche war auf der Heimfahrt mindestens so voll und schwer gewesen wie auf der Hinfahrt. Aber ein Besuch in der charcuterie hatte einfach sein müssen. Ein passendes Rezept hatte sie in Claras Kochbuch schnell gefunden. Gut so. Für das, was sie Leon heute noch aufzutischen gedachte, konnte er eine solide Essensgrundlage gut brauchen.
»Liebling …« Leon sprang auf, küsste Isabelle leidenschaftlich. »Das ist absolut phantastisch, wir sind gerettet! Das Geld reicht, um in den nächsten Monaten Claude und Gustave Grosse ihre
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