Die Champagnerkönigin
durchführen. Schon vor vielen Jahren hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, die Kellermeister und nicht die Handelsvertreter der Champagnerhäuser zu sich einzuladen, sehr zum Unmut der Champenois . Wir zahlen unseren Verkäufern unverschämt hohe Gehälter, und du lädst sie nicht ein?, schimpften sie Jahr für Jahr aufs Neue. Aber Raymond wollte die versiert vorgetragenen Verkaufsargumente eines Simon Souret von Trubert oder eines Silvain Grenoble von Pommery nicht hören. Er wollte vielmehr erfahren, was sich ein Kellermeister bei der assemblage , also der Zusammenstellung, der drei Weinsorten Pinot Noir, Pinot Meunier und Chardonnay gedacht hatte. Welche Geschmacksrichtung hatte er im Kopf, welche Träume, welche Ideen …
Daniel, der wusste, worauf es dem Champagnerhändler in Reims ankam, sagte jetzt: »Spritzige, junge Champagner gibt es genug, auch bei Trubert. Ich wollte jedoch einen Champagner kreieren, den man spätabends anstelle eines Cognacs auf den Tisch bringen kann. Ein Champagner mit Tiefe und Volumen, einer, der zwei Liebende wärmt und der eine kurze Nacht länger macht.«
»Ein Champagner, der zwei Liebende wärmt – hier spricht der wahre Kenner«, sagte Raymond schmunzelnd.
»Von wegen, hier war höchstens der Wunsch Vater des Gedankens«, erwiderte Daniel seufzend. »Außer meiner Liebe zum Herstellen von Champagner ist mir derzeit nichts beschieden.«
Raymond musterte seinen Gast schweigend. Es war allseits bekannt, dass Daniel Lambert, was Frauen anging, kein Kostverächter war. Viele Liebschaften wurden dem Mann mit dem blonden Lockenkopf nachgesagt. Und selbst wenn nicht alles stimmte, was die Leute daherredeten, so war davon auszugehen, dass ein so überaus attraktiver Mann wie Daniel gewiss auf seine Kosten kam. Es war allerdings auch bekannt, dass keine Frau es länger mit ihm aushielt. Allen war es auf die Dauer zu anstrengend, mit solch anspruchsvollen Nebenbuhlerinnen wie einer Pinot-Meunier-Traube oder einem Chardonnay zu konkurrieren. Oder war es andersherum? War es Daniel, dem keine Frau auf Dauer anregend genug war?
»Und wie geht’s Henriette?«, fragte Raymond in möglichst harmlosem Ton. Dass Henriette Trubert aus dem geschäftlichen Verhältnis zu ihrem Kellermeister nur zu gern auch ein privates gemacht hätte, entging niemandem, der die Winzerin im Weinkeller, bei Verkostungen oder wo auch immer in Gesellschaft von Daniel sah. Wie seine frühere Geliebte den jungen Mann mit den Augen beinahe auffraß, war peinlich mit anzusehen, fand Raymond. Auch wenn ihre besten Jahre vorüber waren, so war Henriette noch immer eine attraktive – und mächtige – Frau. Sich um einen Mann zu bemühen hatte sie eigentlich nicht nötig. Ob sie wohl wusste, dass man in den Salons der Champagne schon darüber spottete, dass sie weniger Erfolg hatte als ihr Mann, sich ein Spielzeug aus dem Hause Lambert zuzulegen?
Ihre – Raymonds und Henriettes – Liaison vor ein paar Jahren hatte nicht lange gehalten. Statt sich ihm hinzugeben, war Henriette für seinen Geschmack zu fordernd gewesen. Ohne dass viele Worte nötig gewesen wären, hatten sie beide die Affäre beendet. Sie waren keine Freunde geblieben – das konnte man nur, wenn man zuvor miteinander Freund gewesen war. Aber sie beide schätzten den anderen als Geschäftskontakt, und wann immer man sich über den Weg lief, waren es angenehme Begegnungen.
Daniel warf ihm einen Blick zu, der besagte, dass er wusste, worauf Raymond mit seiner harmlosen Frage anspielte, dass es ihn jedoch nicht weiter kümmerte. »Madame Trubert ist derzeit sehr beschäftigt. Sie hat große Pläne …«
Raymond lachte. »Warum diese Geheimniskrämerei, mein junger Freund? Glaubst du, ich kann mir nicht denken, dass die Füchsin es auf euer altes Weingut abgesehen hat? Alles andere würde mich sehr wundern, bei ihrem Appetit auf neues Land. Wie viel Hektar hat sie letztes Jahr aufgekauft? Da war das Weingut der Serlots, das der Familie Eglotát – waren es sieben oder acht Hektar?«
»Neun«, antwortete Daniel Lambert ungerührt.
»Und nun hat sie es auf das Lambert-Land abgesehen.« Dass das Weingut und seine Lagen schon seit vielen Jahren den Namen Feininger trugen, daran hatte sich Raymond noch immer nicht gewöhnt. Für ihn war der verstorbene Frederick Lambert nicht nur der beste Kellermeister aller Zeiten gewesen, sondern auch sein guter Freund. Er hatte es vorgezogen, zu übersehen, dass nun andere Menschen Fredericks Land
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