Die Champagnerkönigin
…«
»Wie können Sie auch nur an eine Pause denken, wo hier so viel im Argen liegt? Wenn ich Sie noch einmal tagsüber beim Schlafen erwische, sind Sie Ihre Arbeit los, und jetzt folgen Sie mir, und zwar flott!« Draußen machte sie eine weit ausholende Handbewegung. »Ist das hier ein Weinberg oder ein brachliegender Acker? Im selben Maß, wie die Reben wachsen, sprießt auch das Unkraut und nimmt den Reben die Nahrung aus dem Boden fort. Wir müssen dringend Unkraut hacken. Ich brauche gutgenährte Reben, denn nur sie produzierten saftige, geschmackvolle Trauben!«
»Aber Madame!«, rief Gustave Grosse entsetzt. »Ich habe derzeit alle Hände voll zu tun mit der effeuillage ! Außerdem muss ich die Reben gegen Mehltau behandeln. Beim besten Willen, Madame, Sie können doch nicht einfach daherkommen und alles durcheinanderbringen.«
Effeuillage ? Darüber, wie ungesund Unkraut für die Reben war, hatte sie in Jacques’ Büchern gelesen, den Begriff effeuillage hatte sie jedoch nirgendwo entdeckt. Isabelle beschloss, auf Grosses Einwand nicht einzugehen.
»Und ob ich das kann«, erwiderte sie fest. »Morgen legen wir los, stellen Sie sich darauf ein. Ich fahre jetzt hinunter ins Dorf und schaue, ob ich ein paar junge Burschen um Mithilfe bitten kann. Es gibt bestimmt den einen oder anderen, der sich gern ein paar Francs dazuverdient.«
»Welch netter Besuch in unserem Weinkeller, liebe Madame Feininger!«, rief Micheline Guenin, als sie Isabelle auf der Kellertreppe stehen sah. »Warten Sie, ich komme hoch zu Ihnen, ich wollte sowieso mit Ihnen sprechen.«
Fröstelnd legte Isabelle beide Arme um sich. Der Weinkeller der Guenins war genauso kalt wie ihr eigener, auch er atmete den ihr inzwischen bekannten Geruch nach Traubenmaische, feuchtem Kalk und altem Holz aus.
Micheline legte die schwere Gummischürze, die sie getragen hatte, ab und stieg behende die Treppe hinauf. Im Freien angekommen, sagte sie: »Ich wollte gerade zu Ihnen gehen. Mitte Mai, nach les saints de glace, findet auf dem Dorfplatz ein Fest statt. Claude hat mich gefragt, ob ich mit ihm zusammen hingehen möchte. Ob Sie mir dann wohl nochmals eine so hübsche Hochsteckfrisur machen würden?«
Les saints de glace? Wahrscheinlich einer der vielen kirchlichen Feiertage, die es in der Champagne gab, dachte Isabelle wenig interessiert.
»Ich habe einen Kamm, auf dem ein glitzernder Schmetterling sitzt. Er wird Ihnen ganz wunderbar stehen«, sagte sie lächelnd. Wie Michelines Augen schon jetzt voller Vorfreude glänzten! Oder war es der Zauber der Liebe, der sie so zum Funkeln brachte?
»Werden Sie auch zu dem Fest kommen?«, fragte Micheline. »Das Frühlingsfest ist immer besonders schön, alle Menschen sind glücklich, den Winter hinter sich gebracht zu haben. Wir pflücken Blumen und schmücken damit Tische und Bänke. Der Pfarrer hält eine schöne Andacht, gemeinsam beten wir für ein gutes Winzerjahr …«
»Ich weiß nicht. Leon fährt genau zu dieser Zeit in Mailand ein Rennen. Ich müsste also allein kommen.«
»Sie haben doch Claude und mich!«, rief Micheline. »Marie kommt, Carla und ihr Mann Ignaz ebenfalls – dieses Mal ist wirklich die ganze Nachbarschaft dabei.«
»Ich überlege es mir«, antwortete Isabelle vage. Seit sie die Leitung des Weingutes übernommen hatte, war sie abends stets so müde, dass sie noch vor dem Dunkelwerden ins Bett fiel und einschlief. Nicht einmal die Liebesnächte mit Leon vermisste sie vor lauter Erschöpfung.
»Liebe Micheline, könnten Sie mir bitte sagen, was man unter einer effeuillage versteht ?«, fragte sie nun.
»Das bedeutet, dass man rund um die Trauben ein paar Blätter entfernt, damit diese genügend Licht und Sonne abbekommen und sich gut entwickeln können. Warum fragen Sie ausgerechnet jetzt danach? Diese Arbeit wird doch erst Anfang September durchgeführt.«
Isabelle schnaubte. »Habe ich mir’s doch gedacht. Mein lieber Kellermeister wollte mir gerade weismachen, dass er mit dieser Arbeit derzeit alle Hände voll zu tun hat.«
Die ältere Nachbarin lachte laut auf. »Dieser Bursche aus der Aube ist wirklich mit allen Wassern gewaschen!«
»Das bin ich aber auch«, erwiderte Isabelle und marschierte los, um ihrem Kellermeister die Leviten zu lesen.
Schmunzelnd schaute Micheline Guenin ihr hinterher.
»Wer hätte geglaubt, dass sich das kleine Stadtpflänzchen so durchsetzen kann?«, sagte ihre Schwägerin Marie, die nun ebenfalls aus dem Weinkeller emporgestiegen war
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