Die Champagnerkönigin
und die letzten Sätze mitgehört hatte. Für ihre Verhältnisse klang sie äußerst wohlwollend.
Wenige Tage nach dem Gespräch mit Micheline entdeckte Isabelle auf ihrem täglichen Rundgang durch die Weinberge im unteren Bereich der Rebstöcke die ersten weißgrünen Blüten. Es waren nur unscheinbare, wenig ansprechende kleine Rispen, nicht zu vergleichen mit der Blütenpracht anderer Pflanzen, doch Isabelle schrie vor lauter Entzücken so laut auf, dass Gustave Grosse, der ein Stück weiter mit Anbindearbeiten beschäftigt war, erschrocken zu ihr hinüberblickte. Die Reben blühten jedes Jahr – wie man sich über diesen banalen Umstand so freuen konnte, war für ihn nicht nachvollziehbar.
Was die Blüten an optischer Schönheit zu wünschen übrig ließen, machten sie in Bezug auf den Duft wett, denn er war unglaublich intensiv. Der Blütenduft nach Honig und Passionsfrucht legte sich wie ein Parfümschleier über die Weinberge, er berauschte und betörte jeden, der in die Nähe kam. Gleichzeitig machte er die Menschen wunderlich – zumindest kam es Isabelle so vor. Begegnete sie einem ihrer Nachbarn, konnte es gut vorkommen, dass er ihren Gruß nicht erwiderte, sondern grübelnd vor sich hin starrte. Andere sahen sie nicht, weil sie konzentriert auf die Rebstöcke schauten. Auch zum Himmel war der Blick der Menschen öfter gerichtet, und als Isabelle einen kleinen Scherz deswegen wagte, erntete sie unwirsche Blicke.
»Mit dem Duft der Blüten hat das rein gar nichts zu tun«, erwiderte Claude Bertrand lachend, als Isabelle sich bei ihm über das seltsame Verhalten der Leute ausließ. Die Pfauendame brütete fleißig, und Claude Bertrand war dabei, den hölzernen Verschlag, in den sie sich dafür zurückgezogen hatte, mit noch mehr Stroh auszustatten.
»Während der Blütezeit kann ein einziger strenger Nachtfrost die Ernte zerstören. Aus diesem Grund sind die Champenois nervös, jede Wolke am Himmel kann ein schlechtes Wetteromen bedeuten. Was wir uns alle wünschen, ist ein bisschen Wind, denn er ist hilfreich bei der Bestäubung der Blüten.«
»Der Wind?« Isabelle runzelte die Stirn. »Ich dachte, diese Arbeit würden die Bienen erledigen?«
»Dafür sind die Blüten der Rebstöcke viel zu unscheinbar«, belehrte Claude Bertrand sie. »Nein, Rebstöcke befruchten sich gegenseitig. Ein bisschen Wind trägt die Samen von einer Pflanze zur nächsten. Zudem ist es wünschenswert, dass die Befruchtung innerhalb weniger Tage vonstattengeht. Wenn sich dieser Vorgang nämlich über Wochen hinzieht, was bei wechselhaftem Wetter gern geschieht, wachsen die Trauben unregelmäßig schnell heran – und das bedeutet wiederum eine schlechte Ernte.« Der Verwalter legte seinen Hammer zur Seite und tätschelte kurz Isabelles Arm. »Aber keine Sorge, spätestens wenn wir les saints de glace hinter uns haben, beruhigen sich die Gemüter wieder.«
» Les … was? Micheline hat vor ein paar Tagen denselben Ausdruck verwendet, als sie über das nahende Frühlingsfest sprach«, sagte Isabelle stirnrunzelnd. »Tut mir leid, mein französischer Sprachschatz ist zwar in den vergangenen Wochen enorm gewachsen, aber mit euren vielen Fachbegriffen kann ich leider noch immer nichts anfangen.«
»Warten Sie, gleich fällt mir das deutsche Wort ein …« Claude Bertrand fuchtelte so heftig mit dem Arm in der Luft herum, dass sein Hund in Erwartung eines Stöckchenwurfs freudig zu kläffen begann. »Die … Eisheiligen! Die gestrengen Herren – Pankratius, Servatius und seine Kameraden.«
Isabelle schaute noch verwunderter drein als zuvor. Eisheilige? Davon hatte sie in Berlin noch nie gehört.
Blütenbestäubung – Holzstich von 1911
»So nennt man die Tage Mitte Mai, in denen es zu letzten starken Nachtfrösten zu kommen vermag. Ich kann mich noch gut an das Jahr 1891 erinnern. Es war der elfte Mai, der Tag des Mamertus, die Reben waren kurz vor dem Erblühen, dann kam der Nachtfrost. Am nächsten Morgen …« Wieder machte der Verwalter eine ausholende Handbewegung, begleitet von einem traurigen Kopfschütteln. »Die Blütenansätze waren erfroren, die zarten Blätter welkten bräunlich dahin, erwachsene Männer heulten wie Schlosshunde. Und im Herbst heulten sie wieder, weil die Erntekörbe leer blieben.« Bei seiner eindringlichen Schilderung war er ein wenig laut geworden, was die Pfauenhenne zu aufgeregtem Zischen und Flügelschlagen bewog. Claude Bertrand beeilte sich, das Tier zu beruhigen.
Fortan schaute
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