Die Champagnerkönigin
auch Isabelle den Wolken und dem Wind nach. Und wenn sie frühmorgens die Fenster zum Lüften öffnete, hielt sie ihre Hand für einen langen Moment nach draußen, um zu testen, wie frostig sich der Morgen anfühlte. Was, wenn ausgerechnet in ihrem ersten Jahr ein grausamer Nachtfrost die Reben schädigte? Dann konnte sie ihren Plan, die komplette Traubenernte zu verkaufen, abschreiben. Sie würden wieder vor dem Nichts stehen. Und Leon würde erneut auf einen Verkauf des Weinguts drängen.
17. Kapitel
Zu Isabelles Erleichterung und der aller Weinbauern blieb in diesem Jahr der Nachtfrost rund um die Eisheiligen aus. Die Reben wuchsen und gediehen. Den Menschen von Hautvillers war die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Nun stand dem Danksagungsgottesdienst und dem Frühlingsfest auf dem Marktplatz nichts mehr im Weg!
Schon am Morgen schien die Sonne, und es war angenehm warm. Bestes Reisewetter, dachte Leon, während er mit geübter Hand sein Gepäck aufs Rad schnallte. Kleidung zum Wechseln, Seife, sein Rasiermesser, seine Papiere, die Durchschläge der Anmeldeformulare – er hatte an alles gedacht. Nur, wo war der Zettel mit seiner Reiseroute?
»Musst du wirklich schon wieder fort?«, ertönte hinter ihm Isabelles Stimme. »Du bist doch erst vor vier Tagen zurückgekommen. Es wäre so schön, wenn wir gemeinsam aufs Frühlingsfest gehen könnten.«
Leon seufzte. Hatten sie dieselbe Diskussion nicht schon gestern Abend geführt?
»Du weißt doch, wie wichtig Mailand für mein Prestige als Radfahrer ist.« Während er sprach, tastete er alle Taschen an seiner Jacke und Hose nach dem Reiseplan ab.
»Du hast in den letzten Wochen alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt!«, rief Isabelle. »Was willst du denn noch? Wäre es nicht besser, wenn du deinem Körper eine Pause gönnst?«
Da war ja der gesuchte Zettel! Erleichtert atmete Leon aus. »Das Bahnrennen in Mailand ist eine angenehme Abwechslung zu den Langstreckenrennen, die ich schon in den Beinen habe. Wenn sich jemand eine Pause gönnen sollte, dann bist du es. Ehrlich gesagt, siehst du ein wenig abgeschlafft aus.« Als er Isabelles gekränkten Blick sah, bereute er seine Worte sogleich.
»Warum fährst du nicht mit mir? Mailand würde dir gefallen, wir könnten nach dem Rennen noch ein paar Tage anhängen und uns die Stadt anschauen«, sagte er, wohlwissend, dass seine Frau dieser Idee nie und nimmer zustimmen würde.
Prompt sagte Isabelle: »Und wer kümmert sich dann ums Weingut? Außerdem …« Sie biss sich auf die Lippe.
»Was ist denn noch?«, fragte er eine Spur ungeduldig und schwang sich schon aufs Rad. Es war am sinnvollsten, solche Gespräche bald abzubrechen, das hatte er schon vor langer Zeit erkannt. Isabelle hatte ihre Sicht der Dinge, er die seine – auf einen gemeinsamen Nenner kamen sie nur selten. Er warf einen letzten Blick auf seine Reiseroute, um sich diese einzuprägen. Er würde von Épernay nach Verdun fahren, dann weiter nach Metz und von dort auf gut ausgebauten Straßen bis Karlsruhe. Um Reisekosten zu sparen und weil er die Fahrt als weiteres Training nutzen wollte, hatte er vor, erst dort einen Zug zu besteigen.
»Nichts. Es ist nichts«, sagte Isabelle.
Na also. Leon schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. »Drück mir die Daumen, Liebling. Wenn ich dieses Rennen gewinne, bin ich bestimmt der Champion der Saison!«
Die Champagne war ein ideales Trainingsgebiet, freute sich Leon, während er die Straße in Richtung Épernay hinabsauste. Die Witterung war trocken, nicht zu warm, nicht zu kalt, wie schon das ganze Frühjahr über. Wenn es nicht mit dem Teufel zuging, müsste er in Mailand auf dem Siegertreppchen stehen! Dann würde sein Name Weltruf erlangen, so wie ein Moët-Champagner oder ein Veuve Clicquot Ponsardin. Es gab mehrere Arten, berühmt zu werden, aber das verstand Isabelle leider nicht.
Noch einen Hügel hinauf, und dann kam schon die steile Abfahrt nach Épernay. Bei dieser Abfahrt kam man bestimmt auf fünfzig Stundenkilometer oder mehr! Voller Vorfreude trat Leon noch kräftiger in die Pedale.
Auf dem Hügel angekommen, hielt er kurz an, um vom Sattel aus einen letzten Blick über das weite Champagnerland zu genießen. Zu seinen Füßen lag Épernay. Weiter im Norden lag Reims – er konnte sogar die Türme der Kathedrale erkennen! Er jedoch würde in Richtung des östlich gelegenen Verdun weiterfahren.
Leon duckte sich tief über seinen Lenker, um Tempo aufzunehmen. Sogleich strich der
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