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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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die Boote gar nicht denken kann.
    Auf Befehl Robert Kurtis’ ist die Zwischenwand nach
    den Schlafräumen der Mannschaften mit einem nassen
    Segel belegt worden. Trotz alledem verbreitet sich der
    Rauch bei einer feuchten und heißen Temperatur, die
    die Luft fast unatembar macht.
    Zum Glück sind der große und der Besanmast aus Ei-
    sen, sonst wären ihre unteren Teile gewiß schon durch-
    gebrannt, und sie selbst niedergestürzt, wir aber ret-
    tungslos verloren.
    Robert Kurtis läßt so viel Segel wie möglich beiset-
    zen, und die ›Chancellor‹ läuft bei dem auffrischenden
    Nordostwind mit großer Geschwindigkeit.
    Schon sind seit Ausbruch des Feuers 14 Tage vergan-
    gen, immer hat es zugenommen, da wir nicht imstande
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    waren, es zu beschränken. Der Dienst an Bord wird all-
    mählich sehr beschwerlich. Auf dem Oberdeck, dessen
    Fußboden mit dem Kielraum nicht in unmittelbarer
    Verbindung steht, kann man wohl noch gehen, auf dem
    Verdeck bis zum Vorderkastell ist das aber, selbst mit
    starken Schuhen, fast unmöglich geworden. Das Wasser
    reicht nicht mehr aus, die Bretter abzukühlen, an de-
    nen die Flammen lecken und die sich auf ihren Balken
    krümmen. Das Harz des Holzes schwitzt um die Aststel-
    len aus, die Fugen öffnen sich und der durch die Hitze
    geschmolzene Teer läuft in wunderbaren Windungen, je
    nach der Bewegung des Schiffes, überall umher.
    Um das Unheil voll zu machen, springt der Wind
    plötzlich nach Nordosten um, und weht mit aller Kraft.
    Es erhebt sich ein wahrer Orkan, wie sie in jenen Ge-
    genden nicht selten sind, und verschlägt uns von den
    Antillen, nach denen wir steuern. Robert Kurtis will erst
    beizulegen suchen, das Wasser wird aber so schwer, daß
    die ›Chancellor‹ seinem Andrängen von der Seite nicht
    zu widerstehen vermag.
    Am 29. erreicht der Sturm seine größte Heftigkeit. In
    wilder Empörung schäumt der Ozean und die Wellen
    fluten über die ›Chancellor‹. Ein jetzt ins Meer gelas-
    senes Boot müßte sofort umschlagen und sinken. Wir
    haben uns, die einen auf das Oberdeck, die anderen auf
    das Vorderkastell, geflüchtet. Keiner spricht ein Wort.
    Das Kolli mit Pikrat kommt uns fast gar nicht mehr
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    in den Sinn. Wir haben dieses »Detail« vergessen, um
    mit Robert Kurtis zu reden. Ich weiß wirklich nicht, ob
    die Explosion des Schiffes, die unsere angstvolle Lage
    auf einmal beenden würde, nicht zu wünschen wäre.
    Ich glaube hiermit die Gedanken aller Übrigen auszu-
    sprechen. Wenn dem Menschen eine Gefahr lange Zeit
    droht, wünscht er sie endlich wohl herbei, denn die Er-
    wartung einer unvermeidlichen Katastrophe ist stets
    schlimmer als die Wirklichkeit selbst.
    Solange es noch Zeit war, hat Kapitän Kurtis eine ge-
    wisse Menge Nahrungsmittel aus der Kombüse, die man
    jetzt nicht mehr betreten könnte, herausschaffen lassen.
    Schon hat die Hitze viel davon verdorben. Doch sind
    einige Fässer Salzfleisch und Schiffszwieback, ein Tönn-
    chen Branntwein und einige Behälter mit Wasser auf
    dem Verdeck untergebracht worden, denen man etwas
    an Decken, Instrumenten, eine Bussole und Segellein-
    wand hinzufügt, um im Notfall das Fahrzeug unverzüg-
    lich verlassen zu können.
    Um 8 Uhr abends hören wir trotz des tobenden Or-
    kans ein entsetzliches Geräusch. Die Luken des Decks
    haben sich unter dem Druck der erhitzten Luft geho-
    ben, und schwarzer Rauch wirbelt aus ihnen empor, so
    wie der Dampf unter der Platte des Sicherheitsventils an
    einem Dampfkessel ausströmt.
    Die Mannschaft eilt auf Robert Kurtis zu, als erwarte
    sie seine Befehle. Ein einziger Gedanke erfaßt uns, der,

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    diesen Vulkan, der sich unter unseren Füßen öffnet, zu
    fliehen!
    Robert Kurtis schaut auf den Ozean hinaus, dessen
    Wogen sich schäumend überstürzen. Der Schaluppe
    vermag man sich jetzt nicht einmal zu nähern; nur das
    Boot, das in den Krahnen an der Steuerbordseite hängt,
    ist zu erreichen, sowie die kleine Jolle am Heck des
    Schiffes. Die Matrosen stürzen auf das Boot zu.
    »Nein«, ruft ihnen Robert Kurtis zu, »nein! Das wäre
    ein zu verwegenes Spiel, sich jetzt dem Meer anzuver-
    trauen!«
    Einige Matrosen, Owen an der Spitze, wollen den-
    noch halb von Sinnen das Boot ins Meer herablassen.
    Da eilt Robert Kurtis nach dem Oberdeck und ergreift
    eine Axt:
    »Dem ersten, der die Taue anrührt«, ruft er, »zerspalte
    ich den Schädel!«
    Die Matrosen ziehen sich zurück. Einige klettern in
    die Maschen

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