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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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der Strickleitern; andere flüchten bis in die
    Mastkörbe.
    Um 11 Uhr hört man im Kielraum heftige Detonatio-
    nen. Die Zwischenwände springen, und öffnen der hei-
    ßen Luft und dem Rauch den Weg. Sofort wälzen sich
    Dampfströme aus der Treppenkappe der Mannschafts-
    kajüte, und eine lange Flamme leckt am Besanmast in
    die Höhe.
    Da tönt ein Schrei. Mrs. Kear verläßt, unterstützt
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    von Miss Herbey, ihre Kabine, die das Feuer erreicht.
    Dann erscheint Silas Huntly, das Gesicht von Rauch ge-
    schwärzt, und ruhig begibt er sich, nach einem Gruß
    gegen Robert Kurtis, nach der Strickleiter des Besan-
    masts.
    Die Erscheinung Silas Huntlys erinnert mich noch
    an einen anderen Menschen, der unter dem Oberdeck
    eingeschlossen geblieben ist, in der Kabine, welche die
    Flammen in kurzer Zeit verzehren müssen.
    Soll man den unglücklichen Ruby umkommen las-
    sen? Ich eile nach der Treppe . . . da zeigt sich der Irr-
    sinnige, der seine Fesseln gesprengt hat, schon mit ver-
    brannten Haaren und brennenden Kleidern. Ohne einen
    Schrei auszustoßen, geht er auf dem Verdeck. Ihn brennt
    es nicht an die Füße. Er stürzt sich in die Rauchwirbel
    hinein, der Rauch erstickt ihn nicht! Er macht den Ein-
    druck eines menschlichen Salamanders, der durch die
    Flammen geht! Eine neue Detonation! Die Schaluppe
    berstet; die Luke in der Mitte fliegt in die Höhe und zer-
    reißt die übergedeckten Segelstücken. Eine Feuergarbe
    schießt bis zur Hälfte des Hauptmasts empor.
    Da stößt der Irrsinnige ein schreckliches Geschrei
    aus und ruft:
    »Das Pikrat! Das Pikrat! Wir fliegen alle in die Luft!
    Alle! Alle . . .!«
    Noch ehe es möglich ist, ihn zurückzuhalten, springt
    er durch die Luke in den glühenden Abgrund.

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    Während der Nacht des 29. Oktober. – Die Szene war
    schrecklich und erfüllte trotz der verzweifelten allge-
    meinen Lage jedermann mit Entsetzen.
    Ruby existiert nicht mehr, doch eines seiner letzten
    Worte sollte noch die traurigsten Folgen haben.
    Die Matrosen haben ihn rufen hören: »Das Pikrat!
    Das Pikrat!« Sie wissen nun, daß das Schiff jede Minute
    in die Luft gehen kann und daß sie nicht nur die Feu-
    ersbrunst, sondern auch die gräßlichste Explosion be-
    droht.
    Einige Leute, die ganz außer sich sind, wollen um je-
    den Preis sofort fliehen.
    »Das Boot! Das Boot!« rufen sie.
    Sie sehen es nicht, nein, sie wollen es nicht sehen, diese
    Verblendeten, daß das Meer in wilder Empörung ist, daß
    kein Boot ihm trotzen kann, ohne von den furchtbaren,
    schäumenden Wellen verschlungen zu werden. Nichts
    vermag sie zurückzuhalten, sie hören die Stimme ihres
    Kapitäns gar nicht mehr.
    Robert Kurtis eilt mitten unter seine Mannschaft.
    Vergebens. Der Matrose Owen reizt seine Kameraden
    an. Die Leinen des Boots werden gelöst; und das kleine
    Boot hinausgeworfen.
    Einen Augenblick schwankt es in der Luft und stößt
    infolge des Rollens unseres Schiffes gegen seinen Auf-
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    zug. Die Matrosen stoßen es ab; eben, als es schon fast
    das Wasser berührt, erfaßt es eine ungeheure Welle von
    unten, entfernt es zunächst ein wenig und schleudert
    es dann mit einer solchen Gewalt gegen die Wände der
    ›Chancellor‹, daß es zertrümmert wird.
    Schaluppe und Boot sind nun zerstört; es bleibt uns
    nichts mehr übrig, als die kleine zerbrechliche Jolle.
    Wie vom Donner gerührt, stehen die Matrosen dabei.
    Man hört nichts mehr als das Pfeifen des Windes im Ta-
    kelwerk und das Prasseln der Flammen. Tief gähnt der
    Glutofen in der Mitte des Fahrzeugs, und Ströme von
    Dampf und Rauch drängen sich aus der Luke empor.
    Man kann nicht mehr vom Vorderkastell bis zum Ober-
    deck sehen, eine Feuerbarriere trennt die ›Chancellor‹
    in zwei Teile.
    Die Passagiere und zwei oder drei von der Mann-
    schaft haben sich nach dem Oberdeck geflüchtet.
    Mrs. Kear liegt ohne Bewußtsein ausgestreckt da,
    Miss Herbey weicht nicht von ihrer Seite. Mr. Letour-
    neur hält seinen Sohn in den Armen und drückt ihn an
    sein Herz. Eine nervöse Erregtheit hat sich meiner be-
    mächtigt, die ich nicht zu bezwingen vermag. Der Inge-
    nieur Falsten sieht seelenruhig nach der Uhr und ver-
    merkt die Zeit in seinem Notizbuch.
    Was mag auf dem Vorderteil vorgehen, wo sich ohne
    Zweifel der Leutnant, der Hochbootsmann und die an-
    deren Mannschaften befinden, die wir jetzt nicht zu se-
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    hen vermögen? Zwischen den beiden Hälften des Fahr-
    zeugs ist jede

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