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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wüßte, wenn sie hörte,
    daß das Schiff eigentlich nur noch ein Vulkan ist, der
    sich jeden Augenblick unter ihren Füßen öffnen kann,
    kämen sie gewiß außer Rand und Band, und niemand
    würde imstande sein, ihre Flucht zu verhindern.
    Der zweite Offizier, Ingenieur Falsten und ich, wir
    sind die einzigen, die die schreckliche Komplikation
    der Feuersbrunst kennen, und es ist gut, daß es dabei
    bleibt.
    Nach wiederhergestellter Ordnung suchen wir, Ro-
    bert Kurtis und ich, den Ingenieur wieder auf dem
    Oberdeck. Dieser ist noch dort und steht mit gekreuz-
    ten Armen da; wahrscheinlich denkt er über ein mecha-
    nisches Problem nach – mitten unter dem allgemeinen
    Schrecken. Wir empfehlen ihm dringend, nichts von
    der Verschlechterung unserer Lage zu sagen, die wir der
    Unklugheit Rubys verdanken.
    Falsten verspricht darüber zu schweigen. Robert Kur-
    tis übernimmt es, dem Kapitän Huntly, der auch noch
    nicht informiert ist, alles mitzuteilen.
    Vorher muß er sich aber der Person Rubys versichern,
    denn der Unglückliche ist vollkommen geistig gestört.
    Er weiß nicht mehr, was er tut, und läuft nur mit dem
    Ruf: »Feuer! Feuer!« auf dem Oberdeck umher.
    Robert Kurtis befiehlt einigen Matrosen, sich des Pas-
    sagiers zu bemächtigen, den man fesselt und unschäd-

    — 58 —
    — 59 —
    lich macht. Dann wird er in seine Kabine gebracht und
    sorgfältig bewacht.
    Das schreckliche Wort ist nicht über seine Lippen ge-
    kommen!
    12
    22. und 23. Oktober. – Robert Kurtis hat dem Kapitän
    alles mitgeteilt.
    Kapitän Huntly ist, wenn auch nicht in der Tat, so
    doch dem Wortlaut nach sein Vorgesetzter, und er darf
    ihm nichts verheimlichen.
    Bei dieser Nachricht hat Kapitän Huntly kein Ster-
    benswörtchen geantwortet, sondern ist nur mit der
    Hand über die Stirn gefahren, wie ein Mensch, der sich
    irgendeinen Gedanken vertreiben will; dann ist er ru-
    hig in seine Kabine zurückgekehrt, ohne einen Befehl
    zu erteilen.
    Robert Kurtis, der Leutnant, Ingenieur Falsten und
    ich, wir treten zu einer Beratung zusammen, und ich
    wundere mich über die Kaltblütigkeit, die jeder unter
    diesen Umständen an den Tag legt.
    Alle Möglichkeiten einer Rettung werden erwogen,
    und Robert Kurtis faßt unsere Lage in folgende Worte
    zusammen:
    »Die Feuersbrunst kann unmöglich beschränkt wer-
    den, und der Mannschaftsschlafraum am Vorderteil ist
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    schon kaum noch zu bewohnen. Der Augenblick muß
    also, und das vielleicht bald kommen, an dem die Flam-
    men das Verdeck durchbrechen. Wenn vor Eintritt die-
    ser Katastrophe das Meer es erlaubt, werden wir das
    Schiff auf den Booten verlassen. Ist es uns dagegen un-
    möglich, die ›Chancellor‹ zu verlassen, dann kämpfen
    wir gegen das Feuer bis zum letzten Atemzug. Wer weiß,
    ob wir seiner nicht leichter Herr werden, wenn es zum
    Durchbruch gekommen ist. Vielleicht bekämpfen wir
    den Feind, der sich offen zeigt, erfolgreicher, als den,
    der sich verbirgt!«
    »Das entspricht meiner Ansicht«, bemerkte ruhig der
    Ingenieur.
    »Auch meiner«, setzte ich hinzu. »Doch, Mr. Kurtis,
    ziehen Sie gar nicht in Betracht, daß sich 30 Pfund je-
    ner furchtbaren explosiven Substanz im Kielraum be-
    finden?«
    »Nein, Mr. Kazallon«, antwortete Robert Kurtis, mit
    einem Übermaß von kaltem Blut, »das ist nur ein De-
    tail, das mich nicht besonders kümmert. Warum sollte
    es auch? Kann ich das gefahrdrohende Kolli mitten aus
    der brennenden Fracht heraussuchen? Und das aus ei-
    nem Raum, dem wir jeden Luftzutritt verwehren müs-
    sen? Nein, daran denke ich gar nicht! Noch bevor ich
    ausspreche, kann das Pikrat seine entsetzliche Wirkung
    äußern, das ist wohl wahr. Aber entweder erreicht das
    Feuer es oder nicht! Der erschwerende Umstand, den
    — 61 —
    Sie anführen, ist für mich nicht weiter vorhanden. Es
    liegt in der Hand Gottes und nicht in meiner, uns diese
    schreckliche Katastrophe zu ersparen!«
    Robert Kurtis hat diese Worte in ernstem Ton gespro-
    chen, und wir senken die Köpfe, ohne darauf zu ant-
    worten. Da der Zustand des Meeres eine Benutzung der
    Boote ganz unmöglich macht, dürfen wir an jenen be-
    sonderen Umstand nicht weiter denken.
    »Die Explosion ist ja nicht unbedingt notwendig,
    hätte wohl ein Formalist gesagt, sie ist nur eine zufäl-
    lige!«
    Eine ähnliche Bemerkung äußerte der Ingenieur auch
    wirklich.
    »Auf eine Frage möchte ich Sie noch um eine Ant-
    wort bitten, Mr. Falsten«, sagte ich. »Kann das Natron-
    Pikrat sich

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