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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Verbindung unterbrochen, und niemand
    könnte durch die Wand von Flammen dringen, die aus
    den Luken emporwirbelt.
    Ich nähere mich Robert Kurtis.
    »Alles verloren?« frage ich ihn.
    »Nein«, antwortet er, »da die Luke einmal offen ist,
    werden wir versuchen, Ströme von Wasser in die Glut
    zu leiten und sie vielleicht zu löschen.«
    »Wer soll aber auf dem brennenden Verdeck die Pum-
    pen bedienen, Mr. Kurtis? Wie wollen Sie den Matrosen
    durch jene Flammen hindurch Ihre Befehle zukommen
    lassen?«
    Robert Kurtis erwidert kein Wort.
    »Es ist alles verloren, nicht wahr?« frage ich noch ein-
    mal.
    »Nein, Herr«, sagt Robert Kurtis, »nein, solange ich
    noch ein Brett unter meinen Füßen fühle, verzweifle ich
    noch nicht!«
    Die Wut der Feuersbrunst nimmt zu, die Wellen des
    Meeres färben sich mit rötlichem Schein. Über uns
    spiegelt sich der Feuerschein an den niedrigeren Wol-
    ken. Lange Feuerstrahlen schießen jetzt aus den Deck-
    luken, und wir haben uns nach dem Hackbord hinter
    dem Oberdeck zurückgezogen.
    Mrs. Kear ist in der Jolle niedergelegt worden, die
    — 78 —
    noch an ihren Trägern hängt, und Miss Herbey hat ne-
    ben ihr Platz genommen.
    Welch entsetzliche Nacht! Welche Feder wäre im-
    stande, ihre Schrecken zu schildern!
    Der entfesselte Orkan bläst wie ein ungeheurer Ven-
    tilator in diesen Schmelzofen. Obwohl die ›Chancellor‹
    schon viel Segel eingebüßt hat, fliegt sie wie ein riesiger
    Brander durch die Finsternis dahin. Wir haben offenbar
    keine Wahl. Entweder ins Meer springen, oder in den
    Flammen umkommen!
    Aber das Pikrat fängt kein Feuer! Der Vulkan öffnet
    sich nicht unter unseren Füßen! Ruby hat doch wohl
    gelogen! Es ist gar keine explosive Substanz im Fracht-
    raum!
    Um halb 12, das Meer tobt gerade furchtbarer denn je,
    hört man ein von den Seeleuten so gefürchtetes Schar-
    ren und Kratzen durch den Lärm der Elemente hin-
    durch, und vom Vorderteil dringt ein Schrei bis zu uns.
    »Riffe! Riffe auf der Steuerbordseite!«
    Robert Kurtis springt auf die Schanzkleidung, über-
    fliegt mit einem raschen Blick die weißlichen Wellen
    und ruft mit lautester, gebieterischer Stimme:
    »Backbord steuern! Backbord!«
    Doch es ist zu spät. Ich fühle, wie der Rücken einer
    ungeheuren Welle uns emporhebt und ein plötzlicher
    Stoß erfolgt.
    Das Schiff schleift mit dem Heck, stößt wiederholt
    — 79 —
    auf, und der Besanmast stürzt, dicht über Deck abbre-
    chend, ins Meer. Die ›Chancellor‹ sitzt unbeweglich
    fest!
    15
    Fortsetzung der Nacht vom 29. Oktober. – Noch ist es
    nicht Mitternacht, kein Mond am Himmel, rings tiefes
    Dunkel. Wo das Schiff aufgefahren ist, können wir jetzt
    unmöglich wissen. Ob es wohl durch den Sturm ver-
    schlagen wieder an die Küste Amerikas getrieben ist?
    Zeigt sich vielleicht, wenn es Tag wird, Land?
    Ich sagte, daß die ›Chancellor‹, nachdem sie wieder-
    holt aufstieß, unbeweglich sitzen blieb. Bald nachher
    belehrte Robert Kurtis ein Geräusch von rasselnden
    Ketten, daß man die Anker herablasse.
    »Gut! Gut!« sagte er, »der Leutnant und der Boots-
    mann lassen die Anker fallen; hoffentlich werden sie
    fassen!«
    Dann sehe ich Robert Kurtis auf der Schanzkleidung
    hinlaufen, bis ihm die Flammen jedes Weitergehen ver-
    wehren. Er gleitet auf die Rüsten am Steuerbord, nach
    dem das Schiff geneigt liegt, und hält sich dort einige
    Minuten, obwohl das Meer ihn mit Wellen überspült.
    Ich sehe, wie er aufmerksam horcht. Man sollte meinen,
    er höre ein eigentümliches Geräusch neben dem Geheul
    des Sturms.
    — 80 —
    Nach einer Viertelstunde kehrt Robert Kurtis nach
    dem Oberdeck zurück.
    »Es dringt Wasser ein«, sagt er zu mir, »und dieses
    Wasser – Gott stehe uns bei – wird vielleicht die Feuers-
    brunst bewältigen!«
    »Aber nachher?« sage ich.
    »Mr. Kazallon«, antwortete er mir, »›nachher‹ wie
    Gott will. Wir denken jetzt nur an das nächste!«
    Das Nächstliegende wäre nun wohl gewesen, sich
    mittels der Pumpen vom Stand des Wassers zu überzeu-
    gen, aber niemand kann sie mitten in dem Flammen-
    meer erreichen. Wahrscheinlich gestattet ein Leck im
    Grund des Fahrzeugs dem Wasser, in vollen Strömen
    einzudringen, denn es will mir scheinen, als vermindere
    sich das Feuer schon ein wenig. Man vernimmt jetzt ein
    betäubendes Gezisch, den Beweis, daß beide Elemente
    miteinander kämpfen. Unzweifelhaft ist der Unterteil
    des Feuerherds erreicht und das erste Lager der Baum-
    wollballen schon

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