Die Chancellor
Verbindung unterbrochen, und niemand
könnte durch die Wand von Flammen dringen, die aus
den Luken emporwirbelt.
Ich nähere mich Robert Kurtis.
»Alles verloren?« frage ich ihn.
»Nein«, antwortet er, »da die Luke einmal offen ist,
werden wir versuchen, Ströme von Wasser in die Glut
zu leiten und sie vielleicht zu löschen.«
»Wer soll aber auf dem brennenden Verdeck die Pum-
pen bedienen, Mr. Kurtis? Wie wollen Sie den Matrosen
durch jene Flammen hindurch Ihre Befehle zukommen
lassen?«
Robert Kurtis erwidert kein Wort.
»Es ist alles verloren, nicht wahr?« frage ich noch ein-
mal.
»Nein, Herr«, sagt Robert Kurtis, »nein, solange ich
noch ein Brett unter meinen Füßen fühle, verzweifle ich
noch nicht!«
Die Wut der Feuersbrunst nimmt zu, die Wellen des
Meeres färben sich mit rötlichem Schein. Über uns
spiegelt sich der Feuerschein an den niedrigeren Wol-
ken. Lange Feuerstrahlen schießen jetzt aus den Deck-
luken, und wir haben uns nach dem Hackbord hinter
dem Oberdeck zurückgezogen.
Mrs. Kear ist in der Jolle niedergelegt worden, die
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noch an ihren Trägern hängt, und Miss Herbey hat ne-
ben ihr Platz genommen.
Welch entsetzliche Nacht! Welche Feder wäre im-
stande, ihre Schrecken zu schildern!
Der entfesselte Orkan bläst wie ein ungeheurer Ven-
tilator in diesen Schmelzofen. Obwohl die ›Chancellor‹
schon viel Segel eingebüßt hat, fliegt sie wie ein riesiger
Brander durch die Finsternis dahin. Wir haben offenbar
keine Wahl. Entweder ins Meer springen, oder in den
Flammen umkommen!
Aber das Pikrat fängt kein Feuer! Der Vulkan öffnet
sich nicht unter unseren Füßen! Ruby hat doch wohl
gelogen! Es ist gar keine explosive Substanz im Fracht-
raum!
Um halb 12, das Meer tobt gerade furchtbarer denn je,
hört man ein von den Seeleuten so gefürchtetes Schar-
ren und Kratzen durch den Lärm der Elemente hin-
durch, und vom Vorderteil dringt ein Schrei bis zu uns.
»Riffe! Riffe auf der Steuerbordseite!«
Robert Kurtis springt auf die Schanzkleidung, über-
fliegt mit einem raschen Blick die weißlichen Wellen
und ruft mit lautester, gebieterischer Stimme:
»Backbord steuern! Backbord!«
Doch es ist zu spät. Ich fühle, wie der Rücken einer
ungeheuren Welle uns emporhebt und ein plötzlicher
Stoß erfolgt.
Das Schiff schleift mit dem Heck, stößt wiederholt
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auf, und der Besanmast stürzt, dicht über Deck abbre-
chend, ins Meer. Die ›Chancellor‹ sitzt unbeweglich
fest!
15
Fortsetzung der Nacht vom 29. Oktober. – Noch ist es
nicht Mitternacht, kein Mond am Himmel, rings tiefes
Dunkel. Wo das Schiff aufgefahren ist, können wir jetzt
unmöglich wissen. Ob es wohl durch den Sturm ver-
schlagen wieder an die Küste Amerikas getrieben ist?
Zeigt sich vielleicht, wenn es Tag wird, Land?
Ich sagte, daß die ›Chancellor‹, nachdem sie wieder-
holt aufstieß, unbeweglich sitzen blieb. Bald nachher
belehrte Robert Kurtis ein Geräusch von rasselnden
Ketten, daß man die Anker herablasse.
»Gut! Gut!« sagte er, »der Leutnant und der Boots-
mann lassen die Anker fallen; hoffentlich werden sie
fassen!«
Dann sehe ich Robert Kurtis auf der Schanzkleidung
hinlaufen, bis ihm die Flammen jedes Weitergehen ver-
wehren. Er gleitet auf die Rüsten am Steuerbord, nach
dem das Schiff geneigt liegt, und hält sich dort einige
Minuten, obwohl das Meer ihn mit Wellen überspült.
Ich sehe, wie er aufmerksam horcht. Man sollte meinen,
er höre ein eigentümliches Geräusch neben dem Geheul
des Sturms.
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Nach einer Viertelstunde kehrt Robert Kurtis nach
dem Oberdeck zurück.
»Es dringt Wasser ein«, sagt er zu mir, »und dieses
Wasser – Gott stehe uns bei – wird vielleicht die Feuers-
brunst bewältigen!«
»Aber nachher?« sage ich.
»Mr. Kazallon«, antwortete er mir, »›nachher‹ wie
Gott will. Wir denken jetzt nur an das nächste!«
Das Nächstliegende wäre nun wohl gewesen, sich
mittels der Pumpen vom Stand des Wassers zu überzeu-
gen, aber niemand kann sie mitten in dem Flammen-
meer erreichen. Wahrscheinlich gestattet ein Leck im
Grund des Fahrzeugs dem Wasser, in vollen Strömen
einzudringen, denn es will mir scheinen, als vermindere
sich das Feuer schon ein wenig. Man vernimmt jetzt ein
betäubendes Gezisch, den Beweis, daß beide Elemente
miteinander kämpfen. Unzweifelhaft ist der Unterteil
des Feuerherds erreicht und das erste Lager der Baum-
wollballen schon
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