Die Chancellor
den Achseln zu zu-
cken.
Dann wandte er sich an Mr. Letourneur und mich:
»Wenn sich die Sonne zeigt«, sagt er, »werde ich eine
Aufnahme ausführen und dann werden wir erfahren,
auf welchem Punkt des Atlantischen Ozeans wir uns
befinden.«
Hierauf läßt Robert Kurtis zunächst an die Passa-
giere und die Mannschaften Lebensmittel verteilen. Wir
brauchen sie recht nötig, denn alle sind vor Hunger und
Anstrengung erschöpft. Es wird Schiffszwieback und et-
was konserviertes Fleisch gegessen, worauf der Kapitän
sofort gewisse Maßnahmen zum Wiederflottmachen
des Schiffes vorbereitet.
Das Feuer hat sich jetzt noch weiter vermindert, und
keine Flamme dringt mehr nach außen. Auch der Rauch
ist, wenn auch noch schwarz, doch weniger reichlich.
Gewiß steht im Kielraum der ›Chancellor‹ eine große
Menge Wasser, doch kann man sich darüber nicht ver-
gewissern, da das Verdeck nicht begehbar ist.
Deshalb läßt Robert Kurtis die glühheißen, halbbren-
nenden Planken begießen, und nach 2 Stunden können
die Matrosen wieder auf dem Verdeck gehen.
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Jetzt ist es die erste Sorge, zu sondieren, ein Geschäft,
dem sich der Hochbootsmann unterzieht. Seiner Mes-
sung nach stehen 5 Fuß Wasser im Frachtraum; der Ka-
pitän läßt es jedoch noch nicht auspumpen, da er will,
daß es seine Arbeit ganz vollende. Erst mit dem Feuer
fertig werden, mit dem Wasser später.
Erscheint es nun wohl geraten, das Schiff sofort zu
verlassen und sich auf die Klippe zu flüchten? Kapitän
Kurtis’ Ansicht, der auch der Leutnant und der Hoch-
bootsmann zustimmen, ist das nicht. Wirklich, bei
schwerem Wellengang dürfte die Position selbst auf
den am meisten hervorragenden Felsen nicht haltbar
sein. Die Wahrscheinlichkeit einer Explosion des Fahr-
zeugs ist ja wesentlich gemindert; gewiß hat das Was-
ser im Frachtraum eine solche Höhe erreicht, daß Ru-
bys Gepäck und folglich auch sein Kolli mit Pikrat über-
schwemmt ist. Es wird also entschieden, daß weder die
Mannschaften noch die Passagiere die ›Chancellor‹ ver-
lassen.
Dafür bemüht man sich, auf dem Oberdeck eine Art
Lagerstätte herzurichten, und für die beiden Damen
werden einige vom Feuer noch verschonte Matratzen
dorthin geschafft. Die Mannschaft, die ihre Habselig-
keiten gerettet hat, bringt diese unter das Vorderkastell.
Dort soll auch der Schlafraum sein, da die Kajüte der
Leute völlig unbewohnbar geworden ist.
Zum Glück sind die Zerstörungen in der Kombüse
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nicht so umfangreich, wie man hätte annehmen sollen.
Die Lebensmittel, ebenso wie die Wasserkisten hat das
Feuer zum großen Teil verschont. Das ganz im Vorder-
teil liegende Segelmagazin erweist sich als völlig unver-
sehrt.
Vielleicht stehen wir vor dem Ende unserer Prüfun-
gen. Man ist fast versucht, das zu glauben, denn seit
dem Morgen hat sich der Wind sehr bedeutend abge-
schwächt und der Seegang merklich ermäßigt. Letzteres
ist ein ganz besonders günstiger Umstand, denn wenn
die ›Chancellor‹ jetzt heftige Wellenstöße träfen, müßte
sie an dem harten Basalt zerschellen.
Mit den Herren Letourneur habe ich ausführlich
über die Schiffsoffiziere, gesprochen, ebenso über die
Mannschaften und über das Benehmen aller in dieser
Zeit der Gefahr. Alle haben Proben des Muts und der
tatkräftigen Entschlossenheit abgelegt. Leutnant Walter,
der Hochbootsmann und der Schiffszimmermann Da-
oulas zeichneten sich ganz besonders aus, das sind wa-
ckere Männer, gute Seeleute, auf die man sich verlassen
kann. Robert Kurtis ist über jedes Lob erhaben. Jetzt,
wie immer, scheint er sich zu verdoppeln und ist über-
all zur Stelle; Schwierigkeiten bieten sich nur, um von
ihm überwunden zu werden; durch Wort und Tat feuert
er seine Matrosen an; er bildet gleichsam die Seele der
ganzen Mannschaft, die nur durch ihn handelt.
Seit 7 Uhr morgens begann das Meer inzwischen wie-
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der zu steigen; jetzt, um 11 Uhr, sind die Spitzen der
Felsen bei der Flut alle wieder verschwunden. Es steht
zu erwarten, daß das Wasser im Frachtraum um ebenso
viel steigen wird, wie das Meer außerhalb. Das geschieht
wirklich. Die Sonde ergibt 9 Fuß, und wiederum sind
neue Schichten der Ballen überschwemmt, worüber wir
uns jedoch nur Glück wünschen.
Seit Eintritt der vollen Flut ist der größte Teil der
das Schiff umgebenden Felsmassen untergetaucht; nur
die Umfassung einer Art kleinen Beckens
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