Die Chancellor
mit größter Sorgfalt, wenn wir nicht
sinken wollen, nachdem wir der Gefahr zu verbrennen
entgangen waren. Nein, nein, Mr. Kazallon, ich mache
mir keine Illusionen und werde es als einen glücklichen
Umstand betrachten, wenn wir das Riff nach 3 Wochen
wirklich verlassen haben werden. Nun gebe nur der
Himmel, daß kein Sturm ausbricht, noch bevor wir wie-
der flott sind, denn die ›Chancellor‹ müßte an diesen
Klippen wie ein Glas zerschellen!«
In der Tat ist hierin die größte Gefahr zu suchen, die
uns drohen könnte. Das Feuer wird nun vollends ge-
löscht werden, das Fahrzeug wird wieder flottgemacht
— 97 —
werden, mindestens haben wir allen Grund, es zu glau-
ben – aber wir leben vorderhand von der Gnade eines
Windstoßes! Zugegeben auch, daß der höchste Teil des
nahen Riffs während eines Sturms als Zuflucht dienen
könnte, was soll aus den Passagieren und Mannschaf-
ten der ›Chancellor‹ werden, wenn ihr Schiff in Stücke
ginge!
»Mr. Letourneur«, habe ich diesen darauf gefragt,
»Sie haben Vertrauen zu Robert Kurtis?«
»Vollkommenes Vertrauen, Mr. Kazallon. Und ich
halte es für eine Gnade Gottes, daß Kapitän Huntly
ihm das Kommando des Schiffes abgetreten hat. Ich bin
überzeugt, daß Robert Kurtis alles tun wird, was nötig
und möglich ist, um uns aus dieser schlimmen Lage zu
reißen.«
Auf meine Frage an den Kapitän, auf wie lange er den
entstehenden Aufenthalt veranschlage, antwortet er mir,
daß er das jetzt, da es von verschiedenen Umständen
abhänge, noch nicht abzuschätzen imstande sei, er hoffe
aber wenigstens, daß die Witterung nicht allzu ungüns-
tig sein werde.
Wirklich steigt das Barometer ununterbrochen, ohne
das gewöhnliche Auf- und Abschwanken der Queck-
silbersäule, das ihr eigen ist, solange die Luftschichten
noch nicht vollkommen ins Gleichgewicht gekommen
sind. Jene Erscheinung ist also ein Vorzeichen dauern-
— 98 —
der Ruhe – ein wahres Glück für unsere notwendigen
Arbeiten.
Übrigens wird keine Stunde vergeudet, und jeder geht
freudig an seine Tätigkeit.
Vor allem andern hat Robert Kurtis die Absicht, die
Feuersbrunst vollkommen zu löschen, die noch in den
oberen Lagen der Baumwollballen, über dem Niveau des
Wassers im Kielraum, fortdauert. Es kann aber nicht da-
rum gehen, die Ladung zu schonen, offenbar gilt es nur,
das Feuer zwischen zwei Wasserschichten zu ersticken.
Die Pumpen beginnen ihr Werk demnach aufs neue.
Bei diesen ersten Maßnahmen reichen die Mann-
schaften zur Bedienung der Pumpen aus. Die Passagiere
werden nicht in Anspruch genommen, obgleich wir alle
zur Hilfe bereit sind; doch dürfte unsere Unterstützung
nicht zu unterschätzen sein, wenn man zur Entlastung
des Fahrzeugs vorschreiten wird. Die Herren Letour-
neur und ich, wir verbringen unsere Zeit entweder mit
Plaudern oder mit Lektüre, und außerdem verwende
ich täglich einige Stunden auf die Fortführung mei-
nes Tagebuchs. Der wenig mitteilsame Ingenieur Fals-
ten ist ganz von seinen Ziffern in Anspruch genommen
und entwirft fortwährend Maschinen im Aufriß, wie
im Durchschnitt. Wenn es doch dem Himmel gefiele,
ihn einen kräftigen Apparat ersinnen zu lassen, der die
›Chancellor‹ wieder flottzumachen vermöchte! Die bei-
den Kear halten sich abseits und ersparen uns dadurch
— 99 —
das langweilige Anhören ihrer unablässigen Entschädi-
gungsansprüche; leider ist auch Miss Herbey genötigt,
an der Seite jener zu bleiben, und wir sehen das junge
Mädchen sehr wenig oder gar nicht. Silas Huntly küm-
mert sich um nichts, was mit dem Schiff zu tun hat, der
Seemann in ihm ist gestorben und der Mann vegetiert
nur noch mühsam. Der Steward Hobbart versieht sei-
nen Dienst, wie gewöhnlich, als befinde sich das Schiff
auf der regelmäßigsten Überfahrt. Dieser Hobbart ist
ein unterwürfiger Kriecher und unterscheidet sich sehr
auffallend von seinem Koch Jynxtrop, einem häßlichen
Neger mit brutalen und unverschämten Manieren, der
sich mehr als nötig zu den Matrosen hält.
Zerstreuungen können an Bord natürlich nicht allzu
häufig sein. Da kommt mir zum Glück der Gedanke, das
unbekannte Riff, auf dem die ›Chancellor‹ gestrandet
ist, näher zu untersuchen. Der Ausflug wird weder weit
sein, noch besondere Abwechslungen bieten, doch gibt
er Gelegenheit, das Schiff für einige Stunden zu verlas-
sen und einen Boden zu untersuchen, der einen interes-
santen Ursprung haben
Weitere Kostenlose Bücher