Die Chancellor
Ingenieur Falsten, Miss Herbey und
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ich, als Passagiere; Kapitän Kurtis, Leutnant Walter, der
Hochbootsmann, der Steward Hobbart, der Koch Jynx-
trop, der Zimmermann Daoulas; – endlich die sieben
Matrosen Austin, Owen, Wilson, O’Ready, Burke, San-
don und Flaypol.
Hat uns der Himmel in den 72 Tagen seit unserer Ab-
fahrt von der amerikanischen Küste nun hinreichend
geprüft, und seine Hand schwer genug auf uns gelegt?
Auch der Vertrauensvollste würde das nicht zu hoffen
wagen.
Doch lassen wir die Zukunft, denken nur an die Ge-
genwart, und fahren wir fort die Szenen dieses Dramas
in der Reihenfolge, wie sie sich entwickeln, zu regist-
rieren.
Die Passagiere des Floßes sind bekannt. Welches sind
aber ihre Hilfsmittel?
Robert Kurtis hat nichts anderes einschiffen lassen
können, als was von dem schon aus der Kombüse ent-
nommenen Proviant übrig war, dessen größter Teil da-
mals, als das Verdeck der ›Chancellor‹ überflutet wurde,
verdorben ist. Nur wenig bleibt uns, wenn man bedenkt,
daß 18 Personen zu ernähren sind, und wie lange es
dauern kann, bis uns ein Schiff begegnet oder wir Land
in Sicht bekommen. Ein Faß Schiffszwieback, ein Faß
getrocknetes Fleisch, ein kleines Tönnchen Branntwein,
zwei Behälter mit Wasser, das ist alles, was zusammen-
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gerafft werden konnte, so daß wir uns vom ersten Tag
an mit zugemessenen Rationen begnügen müssen.
An Kleidungsstücken zum Wechseln besitzen wir
ganz und gar nichts. Einige Segel dienen uns als Decken
und Schutzdächer. Die Werkzeuge des Zimmermanns
Daoulas, der Sextant, die Bussole, eine Karte, unsere Ta-
schenmesser, ein metallener Siedekessel und eine Weiß-
blechtasse, die den alten Iren O’Ready noch niemals
verlassen hat, das sind die Instrumente und Geräte, die
noch übrig sind, denn alle die auf dem Verdeck schon
niedergelegten und für das erste Floß bestimmten Käs-
ten sind schon bei dem teilweisen Versinken des Schif-
fes verlorengegangen, und seit dieser Zeit hat niemand
mehr in den Kielraum dringen können. So ist also un-
sere Lage. Sie ist schwierig, doch nicht verzweifelt. Lei-
der liegt die Befürchtung nahe, daß mehr als einem mit
der physischen Kraft auch die Seelenstärke schwinden
wird, und es befinden sich einige unter uns, die nur
schwer im Zaum zu halten sein werden.
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Fortsetzung 7. Dezember. – Der erste Tag hat sich durch
kein besonderes Ereignis ausgezeichnet.
Heute hat Kapitän Robert Kurtis uns alle, Passagiere
und Matrosen, versammelt.
»Meine Freunde«, sprach er uns an, »achten Sie gut
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auf meine Worte. Ich kommandiere auf diesem Floß
ebenso wie an Bord der ›Chancellor‹, und ich rechne
ohne Ausnahme auf unbedingten Gehorsam. Denken
wir nur an das allgemeine Wohl, seien wir einig, und
möge der Himmel uns gnädig sein!«
Alle nahmen diese Worte mit Befriedigung auf.
Die schwache Brise, die jetzt weht und deren Rich-
tung der Kapitän mit dem Kompaß bestimmt, nimmt
etwas zu und bläst mehr aus Norden. Diesen günstigen
Umstand darf man sich nicht entgehen lassen, um sich
der Küste Amerikas so weit wie möglich zu nähern. So-
fort geht der Zimmermann Daoulas daran, den Mast in
der Öffnung des Vorderteils aufzurichten, den er durch
zwei Spieren sorgsam stützt. Währenddessen befestigen
der Hochbootsmann und die Matrosen das kleine Top-
segel an der Stenge, die zu diesem Zweck aufbewahrt
worden ist.
Um halb 10 wird der Mast aufgerichtet, dem zwei
von den Seiten der Plattform aufsteigende Strickleitern
noch mehr Stabilität verleihen. Das Segel wird gehißt,
und unser Floß bewegt sich mit dem Wind im Rücken
merkbar fort.
Nach Beendigung dieser Arbeit versucht der Zimmer-
mann auch ein Steuerruder herzustellen, um mit dessen
Hilfe das Floß in der gewünschten Richtung zu halten.
Robert Kurtis und der Ingenieur Falsten gehen ihm da-
bei mit Rat und Tat zur Hand, und nach 2 Stunden Ar-
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beit ist am Heck eine Art Bootsriemen angebracht, ähn-
lich denen, wie sie an den malaiischen Dschunken ge-
bräuchlich sind.
Inzwischen hat Kapitän Robert Kurtis die notwen-
dige Beobachtung zur Bestimmung der geographischen
Länge unternommen, und zu Mittag gelingt es ihm, die
Sonnenhöhe mit großer Genauigkeit zu messen.
Der Punkt unserer Lage ist nach seiner Beobach-
tung:
15 ° 7 ʹ nördlicher Breite, 49 ° 35 ʹ westlicher Länge
von Greenwich.
Durch Eintragung auf die Kurskarte
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