Die Chancellor
ergibt sich, daß
wir uns gegen 650 Meilen nordöstlich von Paramaibo,
d.h. dem nächsten Teil des amerikanischen Kontinents,
der wie erwähnt zum Gebiet von Holländisch-Guyana
gehört, befinden.
Wenn wir nur mittelmäßiges Glück haben, dürfen
wir doch nicht, selbst bei konstanter Hilfe der Passat-
winde, damit rechnen, mehr als 10 bis 12 Meilen täg-
lich zurückzulegen, da ein so unvollkommener Apparat,
wie ein Floß, den Wind nicht vorteilhaft auszunutzen
vermag. Danach hätten wir mit einer Fahrt von 2 Mo-
naten zu rechnen, selbst unter den günstigsten Umstän-
den, abgesehen von dem wenig wahrscheinlichen Fall
der Begegnung eines Schiffes. Der Atlantische Ozean ist
aber gerade in diesem Teil weit weniger besucht als wei-
ter nördlich oder südlich. Wir sind zum Unglück zwi-
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schen die Schiffswege nach den Antillen und die nach
Brasilien mitten hineingeworfen worden, die die tran-
satlantischen englischen oder französischen Steamer
einhalten, und es ist besser, wir verlassen uns nicht auf
den Zufall einer Begegnung. Wenn wir noch überdies
in die Regionen der Kalmen kämen oder der umschla-
gende Wind uns nach Osten treiben sollte, werden aus
den 2 Monaten 4, ja 6 werden, und vor Verlauf des drit-
ten dürften unsere Lebensmittel wohl schon zur Neige
gehen!
Die Klugheit erfordert also, daß wir nur das dringend
notwendige Quantum verzehren. Kapitän Kurtis hat
uns das alles mitgeteilt, und wir haben die Lebensvor-
schriften strengstens festgesetzt. Für alle ohne Unter-
schied werden die Rationen so bemessen, daß Hunger
und Durst wenigstens halb gestillt werden. Die Leitung
des Floßes erfordert keinen großen Aufwand physischer
Kräfte, und uns kann wohl eine schmälere Kost genü-
gen. Der Branntwein, von dem das Fäßchen nur 5 Gal-
lonen (etwa 23 Liter) enthält, soll nur mit größter Spar-
samkeit verteilt werden, und niemand ohne ausdrück-
liche Erlaubnis des Kapitäns das Recht haben, ihn an-
zurühren.
Das Leben an Bord ist in folgender Weise geregelt:
5 Unzen Fleisch und 5 Unzen Schiffszwieback täglich
pro Kopf ! Das ist zwar wenig, doch kann die Ration
nicht vergrößert werden, denn 15 Magen verzehren bei
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diesen Verhältnissen des Konsums 5 Pfund täglich, aber
in 4 Monaten 600 Pfund. Alles in allem besitzen wir
aber nur 600 Pfund Fleisch und Zwieback. Man muß
also bei diesem Maß bleiben. Die vorrätige Menge Was-
ser kann etwa auf 130 Gallonen (an die 600 Liter) ge-
schätzt werden, und man ist dahin übereingekommen,
jedem täglich eine Pinte (56 Zentiliter) zu verabreichen,
wobei wir auch 3 Monate ausreichen werden.
Jeden Morgen um 10 Uhr findet durch den Boots-
mann die Verteilung der Lebensmittel statt. Jeder emp-
fängt dann die ihm für den Tag zukommende Ration,
die er verzehren kann, wann es ihm beliebt. Das Was-
ser, für das es uns an geeigneten Gefäßen fehlt, um es
zu schöpfen, soll zweimal am Tag, morgens um 10 und
abends um 6 Uhr, ausgeteilt werden, und jeder muß es
sofort trinken.
Es ist nicht zu vergessen, daß es noch zwei Möglich-
keiten gibt, die unsere Portionen vermehren könnten:
den Regen, der uns Wasser liefern würde, und den Fisch-
fang, der uns mit Fischen versorgen könnte. Zum Fan-
gen des Regens werden zwei leere Behälter aufgestellt,
und nach der anderen Seite beeilen sich die Matrosen,
geeignete Angelgerätschaften herzustellen. Das sind die
Maßnahmen, die wir verabredet haben und strengs-
tens einzuhalten übereingekommen sind. Nur dadurch
dürfen wir hoffen, einer Hungersnot vorzubeugen. Wir
kennen alle genug Beispiele, die uns die peinlichste Vor-
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sicht geraten erscheinen lassen, und wenn wir wirklich
den Becher des Unglücks bis zum letzten Tropfen leeren
sollen, so wird es uns beruhigen, getan zu haben, was in
unseren Kräften stand.
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8. bis 17. Dezember. – Der Abend ist herangekommen,
wir haben uns unter die Segelstücke verkrochen, und da
ich von dem Aufenthalt im Mastkorb furchtbar ermüdet
war, habe ich einige Stunden schlafen können. Das ver-
hältnismäßig gering belastete Floß hebt und senkt sich
leicht, und da das Meer nicht schäumt, bleiben wir auch
von den Wellen verschont. Zum Unglück kann aber der
Seegang nur dadurch schwächer werden, daß der Wind
nachläßt, und gegen Morgen bin ich in der Lage, in mein
Journal eintragen zu müssen: Ruhig Wetter.
Bis zum Tagesanbruch hat sich nichts Neues ereig-
net.
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