Die Chancellor
haben, ist schon umgekommen.
Und nun, was bleibt uns noch an Lebensmitteln?
Robert Kurtis suchte sich bald darüber Klarheit zu
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verschaffen. Worin bestehen jene, und wie lange werden
sie reichen?
Noch wird uns das Wasser nicht ganz fehlen, denn
auf dem Boden der einen Tonne finden sich noch etwa
14 Gallonen*, und die andere ist unversehrt. Aber das
Faß mit dem konservierten Fleisch, und das, in dem wir
die gefangenen Fische aufbewahrten, sind uns beide
entführt worden, und von diesen Vorräten besitzen wir
nun absolut nichts mehr. Von dem Schiffszwieback sind
nach Robert Kurtis’ Schätzung nicht mehr als 60 Pfund
gerettet worden.
60 Pfund Schiffszwieback für 16, das ergibt für eine
Woche Nahrung, auf die Person täglich ein halbes Pfund
gerechnet.
Robert Kurtis hat uns alles bekanntgegeben. Schwei-
gend haben wir ihm zugehört. Still ist auch der ganze
Tag, der 22. Dezember, vorübergegangen; jeder war mit
sich selbst beschäftigt, doch offenbar wurden alle von
demselben Gedanken bewegt. Mir scheint, als betrachte
man sich gegenseitig mit ganz eigentümlichen Augen,
und das Gespenst des Hungers zeige sich schon von
weitem. Bis hierher hatte uns Speise und Trank noch
nicht ganz und gar gefehlt. Jetzt indes muß die Wasser-
ration noch weiter verringert werden und noch mehr
die an Zwieback!
* 65 Liter
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Einmal näherte ich mich einer Gruppe auf dem Vor-
derteil lang hingestreckter Matrosen und hörte aus Flay-
pols Mund in ironischem Ton noch die Worte:
»Was einmal sterben soll, das tut schnell ab!«
»Ja«, antwortet ihm Owen, »sie lassen dann wenigs-
tens ihren Teil den anderen übrig!«
Der Tag schlich unter allgemeiner Niedergeschla-
genheit dahin. Jeder empfing sein vorschriftsmäßiges
halbes Pfund Schiffszwieback. Die einen haben es vol-
ler Gier sofort verschlungen, andere teilten es sorglich
ein. Der Ingenieur Falsten scheint mir seine Ration in
so viele Teile zerlegt zu haben, wie er Mahlzeiten zu ma-
chen gewöhnt ist.
Wenn nur einer von uns überlebt – wird Falsten die-
ser eine sein!
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23. bis zum 31. Dezember. – Nach dem Sturm hat der
Wind sich nach Nordosten gewendet und zur günstigen
Brise umgestaltet. Wir müssen ihn benutzen, da er uns
nach dem Land zu treiben verspricht.
Den Mast hat Daoulas jetzt sorgfältig wiederherge-
stellt, das Segel wird gehißt und das Floß treibt mit ei-
ner Geschwindigkeit von 2 bis 2 1⁄2 Meilen in der Stunde
weiter.
Man hat auch versucht, mittels eines Pfahls und eines
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längs aufgenagelten Bretts wieder eine Art Steuer her-
zustellen, das wohl oder übel seine Schuldigkeit tut. Bei
der geringen Geschwindigkeit, die der Wind dem Floß
nur mitteilt, wird ihm eine größere Kraftäußerung auch
nicht zugemutet.
Die Plattform ist mit Keilen und Stricken so gut
wie möglich wieder in Stand gesetzt worden. Die aus-
einandergewichenen Planken sind aufs neue befestigt.
Die Backbordschutzwände, die der Sturm eingedrückt
hatte, sind wiederhergestellt und leisten dem Eindrin-
gen der Wellen Widerstand. Mit einem Wort, alles nur
irgend Mögliche, was diesem Bauwerk aus Maststücken
und Segelstangen Festigkeit verleihen kann, ist gesche-
hen; doch droht uns von dieser Seite die ärgste Gefahr
ja nicht.
Mit dem klaren Himmel hat sich auch jene tropische
Hitze wieder eingestellt, unter der wir schon während
der vorhergehenden Tage so unsäglich zu leiden hatten.
Gerade heute ist sie übrigens durch die Brise einigerma-
ßen gemildert, und da auch das Zeltdach auf dem Heck
wieder in Ordnung gebracht ist, suchen und finden wir
darunter noch weiteren Schutz.
Inzwischen macht sich die Unzulänglichkeit unse-
rer Nahrung ernsthafter fühlbar. Alle leiden sichtlich an
Hunger, die Wangen sind hohl, die Gesichter klein ge-
worden. Bei den meisten scheint auch das Zentralner-
vensystem direkt ergriffen, und die Zusammenziehung
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des Magens erzeugt eine schmerzhafte Empfindung.
Hätten wir, um diesen Hunger zu täuschen oder einzu-
schläfern, ein Narkotikum, Opium oder nur Tabak, ge-
wiß wäre er erträglicher – aber uns fehlt ja alles!
Ein einziger fühlt dieses gebieterische Bedürfnis we-
niger: es ist Leutnant Walter, der eine Beute des heftigs-
ten Fiebers ist, das keinen Hunger in ihm aufkommen
läßt, während ihn fortwährend ein brennender Durst
quält. Miss Herbey, die sich von ihrer eigenen schmalen
Wasserration etwas für den
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