Die Chancellor
wird schwin-
delig, so als ob ich in einen Abgrund blickte.
Die Erscheinungen gleichen sich aber nicht bei al-
len von uns, und einige meiner Gefährten leiden schon
ganz entsetzlich, unter anderm Daoulas, der Zimmer-
mann, und der Bootsmann, die von Natur starke Esser
sind. Die Hungerqualen pressen ihnen unwillkürlich
Schmerzensschreie aus, und sie schnüren sich mit ei-
nem Strick zusammen. Wir sind aber jetzt erst am zwei-
ten Tag!
Oh, jenes halbe Pfund Zwieback, jene magere Rati-
onen, die uns noch vor wenig Tagen so unzureichend
erschienen, wie vergrößern sie unser Verlangen, wie
enorm erscheinen sie uns jetzt, da wir gar nichts mehr
haben! Wenn man uns jetzt diese Stückchen Zwieback
noch zuteilte, nur die Hälfte, ja, nur ein Viertel davon,
wir würden mehrere Tage damit auskommen! Bissen
für Bissen würden sie nur verzehrt werden!
Wenn in einer belagerten Stadt Mangel herrscht,
kann man im Müll, in den Flüssen, in einem Winkel ei-
nen abgenagten Knochen finden, eine weggeworfene
Wurzel, die den Hunger eine Zeitlang wegtäuscht! Auf
diesen Brettern aber, welche die Wogen unzählige Male
überfluteten, in deren Fugen man schon gierig nachge-
sucht, deren Ecken und Winkel, in die der Wind einige
Brosamen hätte treiben können, man schon wieder und
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wieder ausgescharrt hat, was könnte man hier wohl zu
finden hoffen?
Wie lang werden uns die Nächte – noch länger als
die Tage! Vergeblich erhofft man vom Schlaf eine vorü-
bergehende Milderung dieser Leiden. Wenn sich unsere
bleiernen Augenlider dann einmal schließen, verfallen
wir vielmehr einer fieberhaften Betäubung, die uns mit
Alpdrücken quält.
Und doch, die letzte Nacht unterlag ich der Erschöp-
fung und habe einige Stunden ruhen können.
Am nächsten Tag erwache ich um 6 Uhr morgens
durch lautes Geschrei. Ich springe auf und sehe im Vor-
derteil den Neger Jynxtrop, die Matrosen Owen, Flay-
pol, Wilson, Burke und Sandon wie zum Angriff zu-
sammengetreten. Diese Schurken haben sich der Werk-
zeuge des Zimmermanns, der Äxte, des Beils, der Mei-
ßel usw., bemächtigt, und bedrohen damit den Kapitän,
den Bootsmann und Daoulas. Ich geselle mich schleu-
nigst zu Robert Kurtis und seinen Leuten. Falsten folgt
mir unmittelbar. Wir haben als Waffen zwar nur unsere
Messer, sind aber nicht minder entschlossen, uns zu
verteidigen.
Owen und die übrigen dringen auf uns zu. Die Ver-
blendeten sind betrunken: in der Nacht haben sie das
Branntweinfäßchen gestohlen und es fast ausgetrun-
ken.
Was mögen sie wollen?
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Owen und der Neger, die noch am meisten bei Sin-
nen zu sein scheinen, reizen die anderen auf, uns nie-
derzumachen, und jene unterliegen gewissermaßen ei-
ner Art Säuferwahnsinn.
»Nieder mit Kurtis!« rufen sie. »Ins Meer mit dem
Kapitän! Owen kommandiert! Owen kommandiert!«
Owen ist der Anführer der Rotte, ihm folgt der Ne-
ger. Der Haß dieser beiden Kerle gegen ihren Offizier
äußert sich jetzt in einem Gewaltstreich, der im Fall des
Gelingens unsere Lage gewiß nicht zu bessern imstande
wäre. Ihre Partner, die kaum denken können, aber sich
besser bewaffnet haben als wir, sind uns jetzt immerhin
furchterregend.
Als Robert Kurtis sie herankommen sieht, geht er ih-
nen entgegen und ruft mit fester Stimme:
»Die Waffen weg!«
»Tod dem Kapitän!« heult Owen.
Dieser Schuft treibt seine Genossen durch Handbe-
wegungen an; doch Robert Kurtis weicht der betrunke-
nen Rotte aus und stellt sich direkt vor ihn hin.
»Was willst du?« fragt er jenen.
»Keinen Kommandanten auf dem Floß!« antwortet
Owen, »hier sollen alle gleich sein!«
Der Verblendete! Als ob wir, das Elend vor uns, nicht
alle schon gleich wären!
»Owen«, wiederholt der Kapitän noch einmal, »die
Waffen weg!«
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»Tapfer drauf, ihr anderen!« brüllt Owen.
Es entspinnt sich ein Kampf. Owen und Wilson stür-
zen auf Robert Kurtis, der ihre Schläge mit einem Pfahl
abwehrt, während Burke und Flaypol auf den Boots-
mann eindringen. Ich habe den Neger Jynxtrop als Geg-
ner, der ein Beil schwingend mich zu treffen sucht. Ich
versuche ihn mit den Armen zu umschlingen, um seine
Bewegungen zu behindern, aber die Muskelkraft dieses
Spitzbuben übertrifft meine, und nach einigen Augen-
blicken des Widerstands fühle ich, daß ich wohl unter-
liegen muß, als Jynxtrop plötzlich auf die Plattform hin-
rollt und mich im Sturz mit sich reißt.
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