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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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deren Elastizität den Schall der elektrischen Entla-
    dungen erstickt.
    Noch ist das Meer ruhig, schwer, fast stagnierend ge-
    blieben. Bei den langen Wellenbergen, die sich zu er-
    heben anfangen, können sich die Seeleute aber nicht
    mehr täuschen. Für sie ist das Meer »dabei, sich zu ma-
    chen«, und in der Ferne wird jetzt schon ein Sturm aus-
    gebrochen sein, dessen Rückwirkung es empfindet. Der
    entsetzliche Wind kann nicht mehr fern sein, und ein
    Schiff würde man aus Vorsicht schon jetzt ihm gerade
    entgegenstellen; aber mit dem Floß ist nicht zu manö-
    vrieren, ihm bleibt nichts übrig, als vor dem Unwetter
    her zu fliehen.
    Um 1 Uhr morgens zeigt uns ein greller Blitz, dem
    nach wenigen Sekunden ein prasselnder Donnerschlag
    folgt, daß das Gewitter nun über uns ist. Der Horizont
    verschwindet plötzlich vor einem dichten Dunst, der
    sich massenhaft auf das Floß niederzusenken scheint.
    Da läßt sich die Stimme eines Matrosen vernehmen:
    »Da wälzt er sich heran! Der Sturm! Der Sturm!«

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    Die Nacht vom 21. zum 22. Dezember. – Der Bootsmann
    stürzt nach dem Jöllseil, das das Segel hält, und sofort
    wird die Stenge herabgelassen. Es war hohe Zeit, denn
    der Sturmwind braust furchtbar über uns hin. Ohne den
    warnenden Zuruf des Matrosen wären wir wohl halb
    umgeworfen worden. Das Zelt am Heck reißt ein Wind-
    stoß weg.
    Wenn das Floß nun auch vom Wind nicht mehr viel
    zu fürchten hat, da es zu flach ist, um ihm viel Angriffs-
    fläche zu bieten, so ist das desto mehr bezüglich der un-
    geheuren Wellen der Fall, die der Orkan auftürmt. We-
    nige Minuten hindurch schienen die Wogen wie nie-
    dergehalten und abgeplattet durch den Druck der Luft-
    schichten; desto wütender aber schwellen sie jetzt mehr
    als vorher in die Höhe.
    Das Floß folgt den regellosen Bewegungen des em-
    pörten Wassers, und wenn es auch ebensowenig von sei-
    ner Stelle weicht, so erzittert es doch unter einem fort-
    währenden Hin- und Herschwanken.
    »Anbinden! Anbinden!« ruft der Hochbootsmann
    und wirft uns Seile zu.
    Robert Kurtis ist uns zu Hilfe gesprungen, und bald
    sind die Herren Letourneur, Falsten und ich fest an das
    Gestell des Floßes geknüpft und können so lange be-
    stimmt nicht fortgerissen werden, wie es noch selbst zu-
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    sammenhält. Miss Herbey hat sich an einen jener star-
    ken Pfähle gebunden, die früher unser Zeltdach trugen,
    und beim Schein der Blitze sehe ich ihr immer heiteres
    Antlitz.
    Ununterbrochen blendet jetzt das Feuer des Himmels
    und krachen die Donnerschläge. Dabei steht das ganze
    Dunstgewölbe um und über uns in Flammen. Auch vom
    Ozean möchte man wohl dasselbe sagen, und ich habe
    mehrere von den Wellen aufschlagende Blitze gesehen,
    die gabelartig gespalten zum Firmament züngelten. In
    der ganzen Atmosphäre verbreitet sich ein widerwärti-
    ger Geruch nach Schwefel, bis jetzt ist aber das Floß von
    den Blitzstrahlen, die nur die Wogen trafen, verschont
    geblieben.
    Um 2 Uhr morgens rast das Unwetter in voller Wut.
    Der Wind ist zum Orkan geworden, und der entsetz-
    liche Seegang droht unser Floß zu zerreißen. Der Zim-
    mermann Daoulas, Robert Kurtis und mehrere Matro-
    sen sind bemüht, es durch Taue noch mehr zu sichern.
    Ungeheure Sturzseen ergießen sich über das flache Bau-
    werk, und ein lauwarmer Wasserschwall durchnäßt uns
    bis auf die Knochen. Mr. Letourneur bietet dem wü-
    tenden Anprall die Brust, als könne er seinen Sohn da-
    durch schützen.
    Miss Herbey bleibt unbeweglich; man könnte sie für
    eine Bildsäule der Ergebenheit ansehen.
    Bei dem nie verlöschenden Schein der Blitze bemerke
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    ich da sehr große und wahrscheinlich tiefgehende Wol-
    ken, die eine auffallend rötliche Farbe zeigen, und ein
    Knattern wie von Kleingewehrfeuer erfüllt die Lüfte. Es
    kommt das von dem eigentümlichen Geräusch elektri-
    scher Entladungen her, zu denen Hagelkörner als Mit-
    telglieder zwischen einander entgegengesetzt geladenen
    Wolken dienen. Wirklich hat sich durch Aufeinander-
    treffen von Gewitterwolken und einem kalten Luft-
    strom Hagel gebildet, der jetzt mit unerhörter Gewalt
    niederfällt. Wir werden von den nußgroßen Körnern
    kartätscht, deren Aufschlagen auf die Plattform fast ei-
    nen metallischen Ton erzeugt.
    Eine halbe Stunde hält dieser Hagelschauer an, der
    den Wind einstweilen zu mäßigen scheint; nachdem
    dieser aber durch alle Kompaßrichtungen gegangen ist,
    erhebt er

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