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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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sich wieder mit einer Gewalt ohnegleichen.
    Der Mast des Floßes, dessen Strickleitern gerissen sind,
    wird quer gebogen, und man beeilt sich, ihn aus der
    Öffnung zu heben, um sein Abbrechen zu verhüten. Un-
    ser Steuerruder wird durch einen Wellenschlag zerstört,
    und der Bootsriemen treibt fort, ohne daß es möglich
    wurde, ihn wiederzuerlangen. Gleichzeitig werden auch
    die Schutzwände des Backbords eingedrückt, und wü-
    tend drängen sich die Wellen durch diese Bresche.
    Der Zimmermann und die Matrosen wollen versu-
    chen, dem Schaden beizukommen; bei den fortwäh-
    renden Stößen ist das aber unmöglich, und sie rollen
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    fallend einer über den andern, als das Floß, durch eine
    ungeheure Woge emporgehoben, sich um einen Winkel
    von mehr als 45 Grad neigt. Sind die Männer nicht mit
    weggerissen worden? Müssen die Stricke, die uns halten,
    nicht zerreißen? Welches Wunder hat uns alle bewahrt,
    daß wir nicht ins Meer geschleudert wurden . . .? Ich
    weiß es nicht zu erklären. Mir scheint es fast unglaub-
    lich, daß das Floß bei den chaotischen wilden Bewegun-
    gen nicht vollkommen umgestürzt wurde und wir, an
    seine Planken festgebunden, einem schrecklichen Tod
    entgingen!
    In der Tat kommt das Floß gegen 3 Uhr morgens, als
    das Unwetter zügelloser als je zuvor tobte, von dem Rü-
    cken einer berghohen Woge emporgehoben, fast auf die
    schmale Seite zu stehen. Ein Aufschrei des Schreckens
    erschallt . . .! Wir kentern . . .! Nein . . .! Das Floß hat sich
    auf dem Wogenkamm in unbestimmbarer Höhe gehal-
    ten, und wir vermochten bei dem intensiven Licht der
    Blitze, die sich nach allen Richtungen hin kreuzen, vor
    Entsetzen erstarrt, das Meer zu überblicken, das ringsum
    aufschäumt, als brandete es über Klippen hinweg.
    Das Floß nimmt sofort seine horizontale Lage wieder
    ein, aber in dem Augenblick, wo es schief stand, sind
    die Taue der Wassertonnen gerissen. Eine habe ich über
    Bord gehen sehen, während der Inhalt der anderen zum
    Teil ausfloß.
    Einige Matrosen springen hinzu, um das Faß, welches
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    das konservierte Fleisch enthält, zu halten. Da klemmt
    sich der Fuß des einen zwischen die etwas auseinander-
    gewichenen Planken der Plattform und der Unglück-
    liche stößt ein herzzerreißendes Geschrei aus.
    Ich will ihm zu Hilfe eilen, und es gelingt mir auch,
    die Stricke um meinen Leib zu lösen . . . Zu spät! Bei
    einem blendenden Blitz erkenne ich noch, wie der Un-
    glückliche, dessen Fuß wieder frei geworden ist, durch
    einen Wogenschwall, der sich donnernd über uns
    stürzt, hinweggerissen wird. Sein Kamerad ist mit ihm
    verschwunden, ohne daß es möglich wurde, beiden zu
    Hilfe zu kommen.
    Mich hat die Sturzsee auf die Plattform niedergewor-
    fen, und ich habe durch Anschlagen des Kopfs auf einen
    vorspringenden Balken eine Zeitlang das Bewußtsein
    verloren.
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    22. Dezember. – Endlich ist der Tag angebrochen, und
    die Sonne kommt zwischen den letzten übriggeblie-
    benen Gewitterwolken wieder zum Vorschein. Dieser
    Kampf der Elemente hat nur wenige Stunden gedauert,
    doch er war entsetzlich, und Luft und Wasser wüteten
    mit einer unvergleichlichen Erbitterung.
    Ich habe hier nur die Hauptvorgänge beschrieben,
    denn ich war infolge der Bewußtlosigkeit nach meinem

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    Sturz nicht imstande, das Ende der Empörung der Na-
    tur zu beobachten. Ich weiß lediglich, daß der Orkan,
    kurze Zeit nach jener Sturzsee, sich durch Gegenwinde
    ermäßigt und die elektrische Spannung der Atmosphäre
    nachgelassen hat. Der Sturm hielt also über die Nacht
    hinaus nicht an. Doch welchen Schaden hat er auch in
    dieser kurzen Zeit verursacht, welche unersetzlichen
    Verluste und welches Elend drohen nun über uns her-
    einzubrechen! Von dem Wasser, das er in Strömen he-
    rabgoß, haben wir nicht einen Tropfen auffangen kön-
    nen!
    Infolge der Bemühungen der Herren Letourneur und
    von Miss Herbey bin ich bald wieder zu mir gekom-
    men, aber Robert Kurtis’ heldenmütiger Hilfe verdanke
    ich es, daß ich durch eine zweite Sturzsee nicht mit fort-
    gespült wurde.
    Der eine von den beiden durch das Unwetter umge-
    kommenen Matrosen ist Austin, ein junger, gutmüti-
    ger, tätiger und beherzter Mann von 28 Jahren. Der an-
    dere ist der alte Ire O’Ready, der Überlebende so vieler
    Schiffbrüche!
    Jetzt sind wir nur noch 16 Personen auf dem Floß,
    d.h. fast die Hälfte derer, die sich an Bord der ›Chancel-
    lor‹ eingeschifft

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