Die Chaos Queen
den Mord an Barroni anzuhängen.«
»Du hältst ihn nicht für multitasking-fähig.«
»Spiro ist eine Ratte. Setzt man eine Ratte in ein Labyrinth, sucht sie nur eins, nämlich das Stück Käse in der Mitte.«
»Wer hat dann Michael Barroni umgebracht?«
»Ich weiß es nicht. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass Spiro seine Finger im Spiel hatte, aber es gibt keinen einzigen Beweis dafür. Wir wissen nicht, warum Barroni ermordet wurde, und wir haben keinen Anlass anzunehmen, dass er am Überfall auf den Geldtransporter beteiligt war.«
»Mensch, bist du ein Spielverderber!«
»Tja, wer Beweise fordert, macht sich nicht unbedingt beliebt.«
Ich legte auf und fuhr mit der Suche fort, konnte mich aber nicht recht darauf konzentrieren. Vom Starren auf den Bildschirm sah ich alles doppelt, und das Herumhocken in der Arbeitsnische machte mich müde. Noch schlimmer: Ich wurde richtig scharf auf Morelli. Ich fand, seine Stimme am Telefon habe sich nett angehört. Ich fragte mich, was er wohl anhatte. Und ich musste daran denken, wie er aussah, wenn er nichts am Körper trug. Dann überlegte ich, heute vielleicht früher Schluss zu machen, damit ich schon nackt wäre, wenn Morelli um vier Uhr nach Hause käme.
Ich stieß mich von meinem Schreibtisch ab, zog die Windjacke über und griff zum Generalschlüssel.
»Ich muss mal an die Luft«, sagte ich zu Hal. »Bin gleich wieder da.«
Mit dem Aufzug fuhr ich in die Tiefgarage und stieg aufs Motorrad. Als ich aufbrach, hatte ich kein Ziel gehabt. Doch als ich in der Tiefgarage ankam, wusste ich, wohin ich wollte. Ich fuhr zum Gedenkgottesdienst.
Pünktlich um ein Uhr traf ich bei Stiva ein. Nachzügler stürzten sich auf die letzten Parkplätze und drängelten sich dann zur großen vorderen Veranda durch. Ich quetschte mich mit der Ducati an den Autos vorbei und stellte sie auf einem Grasstreifen ab, der den Parkplatz von der Gasse für den Leichenwagen und den Kranzwagen trennte. Der graue Buick meiner Mutter stand auch dort. Es sah aus, als sei sie früh da gewesen. Grandma saß immer gerne in der ersten Reihe.
Stiva hatte eine Kapelle auf der Hinterseite des Gebäudes. Wenn viele Trauergäste kamen, öffnete er die Türen und stellte im großen Flur zusätzliche Klappstühle auf. Heute gab es nur Stehplätze. Da ich als eine der Letzten eintraf, stand ich weit hinten im Gang und verfolgte den Gottesdienst nur über Lautsprecher.
Nach einer Viertelstunde entfernte ich mich und spähte in die anderen Räume. In Aufbahrungsraum Nr. 3 lag Mr. Earls. Der arme Tropf tat mir leid, so ganz allein. Es war, als hätte er keine Einladung zur Feier bekommen. Ich schlich mich in die Küche und ließ kurz den Blick auf dem Tablett mit den Plätzchen ruhen. Dann redete ich mir ein, sie würden nicht besonders gut schmecken. Sie waren gekauft, und meine Lieblingssorte war eh nicht dabei. Es gab Besseres, an dem man herumknabbern konnte, sagte ich mir. Frische Doughnuts, selbst gemachte Plätzchen mit Schokosplittern … Ranger. Ich verließ die Küche und ging auf Zehenspitzen in Stivas Büro. Die Tür stand offen. Sie verkündete, dass er nichts zu verbergen hatte. Wenn man nicht mal seinem Bestatter trauen konnte, wem dann?
Normalerweise unternehme ich keine Expeditionen ins Leichenreich, und als Con mir schwor, er habe Spiro nicht gesehen, glaubte ich ihm bedingungslos, deshalb wusste ich nicht genau, warum ich den Zwang verspürte, das Gebäude zu durchsuchen. Wahrscheinlich weil ich mir irgendwie keinen Reim auf das Ganze machen konnte. Immer wieder musste ich an den Leberfleck denken. Er war aus Modelliermasse geformt gewesen, wie sie ein Bestatter verwendet. Stiva besaß nicht das einzige Beerdigungsinstitut im Großraum von Trenton. Wahrscheinlich konnte man Modelliermasse auch übers Internet bestellen. Dennoch war dies hier der Ort, an dem Spiro am problemlosesten und schnellsten ein Stück hätte beschaffen können. Ich hatte das Gefühl, als würde ich Spiro finden oder zumindest einen Hinweis, dass er hier gewesen war, wenn ich nur genug Türen öffnete.
Ich ging nach oben, schaute ins Lager und in zwei zusätzliche Aufbahrungsräume, die Conny für Stoßzeiten bereithielt, zum Beispiel in der Woche nach Weihnachten. Dann kehrte ich zurück ins Erdgeschoss, ging durch die Seitentür und schaute in die Garage. Zwei Leichenwagen, die auf ihren Einsatz warteten. Zwei Kranzwagen, die düster wirkten, obwohl sie voller Blumen waren. Zwei Lincoln Town Cars.
Weitere Kostenlose Bücher