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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Ixcuaha. Das Messer mit der breiten Stirn. Die Klinge war aus Feuerstein, und der Griff hatte die Form eines knienden Mannes.
    Wie stellt man es an, so fragte ich mich, ein menschliches Herz aus der Brust zu schneiden, wenn man nichts als ein Feuersteinmesser zur Verfügung hat?
    Diese Frage nahm mich ganz und gar in Anspruch, während ich später am selben Nachmittag über die Alameda Central spazierte und die ungewaschenen Straßenkinder ignorierte, die im Pulk hinter mir herliefen und mich um Münzen anbettelten. Nach einer Weile sahen sie ein, dass sie mich nicht mit ihren braunen Augen und ihrem Zahnlückenlächeln verführen konnten, und ließen von mir ab. Endlich war mir ein gewisses Maß an Ruhe und Frieden vergönnt – wenn so etwas in der Kakophonie von Mexico City überhaupt möglich ist. Ich fand ein Café und setzte mich an einen Tisch im Freien, wo ich einen starken Kaffee trank. Ich war der einzige Gast, der es in dieser Hitze vorzog, draußen zu sitzen. Ich kann gar nicht genug Hitze bekommen; sie ist gut für meine rissige Haut. Ich suche sie, wie ein Reptil einen warmen Felsen sucht. Und so saß ich an diesem drückend heißen Tag da, trank meinen Kaffee und dachte über den menschlichen Brustkorb nach, und ich rätselte, wie man wohl am besten an den pulsierenden Schatz in seinem Inneren herankommen könnte.
    Den alten Schilderungen zufolge vollzog sich das aztekische Ritual schnell und mit einem Minimum an Qualen für das Opfer. Hier liegt das Problem. Ich weiß, dass es ein schweres Stück Arbeit ist, in den Brustkorb einzudringen, das Brustbein zu durchtrennen, das wie ein Schutzschild über dem Herzen liegt. Die Herzchirurgen machen einen vertikalen Einschnitt in der Mitte der Brust und zerteilen dann das Brustbein mit einer Säge. Sie haben Assistenten, die ihnen helfen, die Knochenhälften auseinander zu ziehen, und sie benutzen die verschiedensten hochkomplizierten Instrumente, sämtlich aus glänzendem rostfreiem Stahl, um das Operationsfeld zu erweitern.
    Ein aztekischer Priester, der nur mit einem Feuersteinmesser ausgestattet war, hätte mit einer solchen Vorgehensweise seine Probleme gehabt. Er hätte das Brustbein mit einem Meißel bearbeiten müssen, um es der Länge nach zu spalten, und es hätte mit Sicherheit einen heftigen Kampf gegeben. Und viel Geschrei.
    Nein, es musste einen anderen Weg geben, an das Herz zu gelangen.
    Ein horizontaler Schnitt an der Seite des Rumpfs, zwischen zwei Rippen? Auch hier stößt man auf Schwierigkeiten. Das menschliche Skelett ist solide gebaut, und um zwei Rippen so weit auseinander zu spreizen, dass man mit der Hand hindurchgreifen kann, bedarf es einer großen Kraftanstrengung und spezieller Instrumente. Wäre es vielleicht sinnvoller, sich von unten zu nähern! Mit einem raschen Schnitt konnte man die Bauchhöhle öffnen, und dann müsste der Priester nichts weiter tun, als das Zwerchfell zu durchschneiden und die Hand hindurchzustecken, um nach dem Herzen zu greifen. Gewiss, aber das wäre eine sehr unsaubere Methode; die Gedärme würden dabei hervorquellen und auf den Altar fallen. Nirgendwo auf den aztekischen Reliefs finden sich Darstellungen von rituellen Opferungen, bei denen dem Geopferten Darmschlingen aus dem Bauch heraushängen.
    Bücher sind etwas Wunderbares; sie sagen einem alles, was man wissen will, sogar, wie man mit möglichst wenig Aufwand ein Herz mit einem Feuersteinmesser herausschneidet. Ich fand meine Antwort in einem Lehrwerk mit dem Titel Menschenopfer und Kriegführung, verfasst von einem Akademiker (was sind die Universitäten doch heutzutage für interessante Orte), einem Mann namens Sherwood Clarke, den ich sehr gerne einmal kennen lernen würde.
    Ich glaube, wir könnten eine Menge voneinander lernen.
    Die Azteken, so Mr. Clarke, bedienten sich der transversalen Thorakotomie, um das Herz herauszuschneiden. Der Schnitt wird seitlich zwischen der zweiten und dritten Rippe angesetzt und verläuft quer über das Brustbein hinweg bis auf die andere Seite. Der Knochen wird in Schrägrichtung gespalten, wahrscheinlich durch einen kurzen, heftigen Schlag mit einem Meißel. Das Ergebnis ist ein klaffendes Loch. Die Lungen kollabieren augenblicklich, sobald sie der Außenluft ausgesetzt sind. Das Opfer verliert rasch das Bewusstsein. Und während das Herz noch schlägt, greift der Priester in den Brustkorb und durchtrennt die Arterien und Venen. Er fasst den immer noch pulsierenden Muskel, hebt ihn aus seinem blutigen

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