Die Chirurgin
Spiegel erblickte, war Sankt Thomas, der Gefallene – von seiner eigenen Begehrlichkeit zu Fall gebracht. Und die Wahrheit machte ihn wütend, gerade weil er nicht dagegen wettern konnte. Er konnte sie nicht leugnen. Es gelang ihm, sich so lange zu beherrschen, bis er Marquettes Büro verlassen hatte, doch als er Rizzoli an ihrem Schreibtisch sitzen sah, konnte er seine Wut nicht länger im Zaum halten.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte er. »Jetzt haben Sie mir’s aber heimgezahlt. Ist ein gutes Gefühl, wenn man das Blut fließen sieht, was?«
»Habe ich das geschafft?«
»Sie haben Marquette alles erzählt.«
»Na, und wenn schon. Ich wäre ja nicht der erste Polizist, der seinen Partner verpfeift.«
Es war eine giftige Retourkutsche, und sie hatte den gewünschten Effekt. In kaltem Schweigen wandte er sich ab und ging hinaus.
Bevor er das Gebäude verließ, blieb er kurz im Durchgang stehen. Der Gedanke, dass er Catherine an diesem Abend nicht sehen würde, bedrückte ihn. Und doch hatte Marquette Recht. Es musste so sein. So, wie es von Anfang an hätte sein sollen: eine strikte Trennung von Dienstlichem und Persönlichem, die jede gegenseitige Anziehung ignorierte. Aber sie war verletzlich gewesen, und er war Narr genug gewesen, sich davon angezogen zu fühlen. Jahrelang war er aufrecht und unbeirrt seinen Weg gegangen, und nun fand er sich plötzlich in unbekanntem Gelände, an einem verstörenden Ort, wo nicht die Logik, sondern die Leidenschaft herrschte. Er fühlte sich nicht zu Hause in dieser neuen Welt. Und er wusste nicht, wie er wieder aus ihr herausfinden sollte.
Catherine saß in ihrem Wagen und versuchte genügend Mut aufzubringen, um das Haus am Schroeder Plaza zu betreten. Den Nachmittag über hatte sie sich in der Klinik durch eine Reihe von Terminen gearbeitet und die üblichen Nettigkeiten von sich gegeben, während sie Patienten untersucht, sich mit Kollegen beraten und sich mit den üblichen mittelgroßen Katastrophen herumgeschlagen hatte, die regelmäßig im Lauf eines Arbeitstages passierten. Doch ihr Lächeln war eine leere Maske gewesen, und hinter der freundlichen Fassade hatte sich ein Abgrund tiefster Verzweiflung verborgen. Moore reagierte nicht auf ihre Anrufe, und sie wusste nicht, warum. Erst eine einzige Nacht hatten sie gemeinsam verbracht, und schon lief irgendetwas schief in ihrer Beziehung.
Endlich stieg sie aus und betrat das Bostoner Polizeipräsidium.
Sie war zwar schon einmal hier gewesen, zu der Sitzung mit Dr. Polochek, doch das Gebäude wirkte auf sie immer noch wie eine abweisende Festung, ein Ort, an dem sie nichts verloren hatte. Der Eindruck wurde noch durch den uniformierten Beamten verstärkt, der sie von der Empfangstheke aus beäugte.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?« Weder freundlich noch unfreundlich.
»Ich möchte zu Detective Thomas Moore von der Mordkommission.«
»Ich werde mal oben anrufen. Ihr Name bitte?«
»Catherine Cordell.«
Während er telefonierte, wartete sie in der Eingangshalle.
Die Masse von poliertem Granit empfand sie als einschüchternd, ebenso wie die Männer in Uniform und in Zivil, die ihr im Vorübergehen neugierige Blicke zuwarfen. Das hier war Moores Welt, und sie war fremd an diesem Ort, ein Eindringling in diesem Revier, wo harte Männer sie anstarrten und glänzende Schusswaffen aus Halftern hervorlugten. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie einen Fehler gemacht hatte, dass sie nie hätte herkommen sollen, und sie machte sich auf den Weg zum Ausgang. Als sie gerade die Tür erreicht hatte, rief eine Stimme: »Dr. Cordell?«
Sie drehte sich um und erkannte den blonden Mann mit dem sanften, freundlichen Gesicht, der soeben aus dem Fahrstuhl getreten war. Es war Detective Frost.
»Fahren wir doch nach oben, ja?«, sagte er.
»Ich bin gekommen, um mit Moore zu sprechen.«
»Ja, ich weiß. Ich bin runtergekommen, um Sie abzuholen.« Er deutete auf den Fahrstuhl. »Kommen Sie?«
Im ersten Stock führte er sie den Flur entlang zu den Räumen der Mordkommission. Sie war noch nie in diesem Teil des Gebäudes gewesen, und es überraschte sie, wie sehr alles nach einem ganz gewöhnlichen Büro aussah, mit den Computerterminals und den in Gruppen arrangierten Schreibtischen. Er führte sie zu einem Stuhl und bedeutete ihr, Platz zu nehmen. Er konnte sehen, dass sie sich nicht wohl fühlte an diesem unvertrauten Ort, und er war bemüht, es ihr so angenehm wie möglich zu machen.
»Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«,
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