Die Chirurgin
ob wir Ausschussware wären. Die Männer wollen nichts davon wissen. Sie ziehen das Schweigen dem Geständnis vor. Aber das Schweigen breitet sich aus. Es wächst und wuchert, bis man am Ende über gar nichts mehr sprechen kann. Das ganze Leben wird zu einem Tabuthema.«
»So kann kein Mensch leben.«
»Nur so können die anderen unsere Nähe ertragen. Wenn wir über alles schweigen. Aber selbst wenn wir nicht darüber reden, ist es immer da. «
Er küsste sie, und diese schlichte Handlung war intimer, als irgendein Liebesakt je sein konnte, denn sie folgte unmittelbar auf eine Beichte.
»Bleibst du heute Nacht bei mir?«, flüsterte sie.
Sie spürte seinen warmen Atem in ihren Haaren. »Wenn du dich von mir zum Essen entführen lässt.«
»Oh. Das Essen hatte ich völlig vergessen.«
»Das ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen. Ein Mann würde nie das Essen vergessen.«
Lächelnd setzte sie sich auf. »Dann mach uns schon mal die Drinks. Und ich füttere dich.«
Er mixte zwei Martinis, und sie tranken sie, während Catherine den Salat anmachte und Steaks auf den Grill legte. Machofutter, dachte sie amüsiert. Rotes Fleisch für den neuen Mann in ihrem Leben. Der Akt des Kochens war ihr noch nie so sinnlich erschienen wie an diesem Abend. Moore lächelte sie an, als er ihr Salz und Pfeffer reichte, und der Gin machte sie angenehm schwindlig. Sie konnte sich auch nicht erinnern, wann ihr das Essen zuletzt so gut geschmeckt hatte. Es war, als ob sie die ganze Zeit unter Verschluss gewesen wäre und nun Geschmäcke und Düfte zum ersten Mal in all ihrer lebendigen Fülle erlebte.
Sie aßen am Küchentisch und tranken dazu Wein. Ihre Küche mit den weißen Kacheln und weißen Schränken schien ihr plötzlich wie ein Meer von Farben. Der rubinrote Wein, der knackige grüne Salat, das blaue Karomuster der Tuchservietten. Und Moore, der ihr gegenübersaß. Einst war er ihr farblos vorgekommen, wie all die anderen gesichtslosen Männer, an denen man auf der Straße vorübergeht wie an groben Skizzen auf einer flachen Leinwand. Erst jetzt sah sie ihn wirklich, sah die warme Röte seiner Haut, das Netz von Lachfalten um seine Augen. All die liebenswerten Unvollkommenheiten eines Gesichts, in dem das Leben seine Spuren hinterlassen hat.
Wir haben die ganze Nacht für uns allein, dachte sie, und die Aussicht auf das, was vor ihnen lag, zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie stand auf und hielt ihm die Hand hin.
Dr. Zucker hielt das Video der Sitzung mit Dr. Polochek an und wandte sich an Moore und Marquette. »Es könnte sich um eine verfälschte Erinnerung handeln. Cordell hat möglicherweise eine Stimme heraufbeschworen, die gar nicht existierte. Sehen Sie, das ist genau das Problem mit der Hypnose. Die Erinnerung ist etwas Fließendes. Sie kann verändert werden, sie kann so umgeschrieben werden, dass sie unseren Erwartungen entspricht. Cordell ist mit der Überzeugung in diese Sitzung hineingegangen, dass Capra einen Partner hatte. Und hast du nicht gesehen – schon ist auch die Erinnerung da! Eine zweite Stimme. Ein zweiter Mann im Haus.« Zucker schüttelte den Kopf. »Das ist keine verlässliche Aussage.«
»Es ist nicht nur ihre Erinnerung, die für einen zweiten Täter spricht«, wandte Moore ein. »Unser unbekannter Täter hat ihr Haare geschickt, die ihr nur in Savannah abgeschnitten worden sein können.«
»Sie behauptet, die Haare seien ihr in Savannah abgeschnitten worden«, korrigierte Marquette.
»Sie glauben ihr auch nicht?«
»Der Einwand des Lieutenants ist berechtigt«, sagte Zucker. »Wir haben es hier mit einer emotional instabilen Frau zu tun. Auch zwei Jahre nach dem Überfall ist sie möglicherweise noch nicht vollkommen gefestigt.«
»Sie ist Unfallchirurgin.«
»Ja, und an ihrem Arbeitsplatz funktioniert sie auch einwandfrei. Aber sie ist geschädigt. Das wissen Sie. Die Vergewaltigung hat ihre Spuren hinterlassen.«
Moore schwieg. Er dachte an seine erste Begegnung mit Catherine. Wie präzise und beherrscht ihre Bewegungen gewesen waren. Ein ganz anderer Mensch als dieses unbekümmerte junge Mädchen, das in der Hypnose zum Vorschein gekommen war, die junge Catherine, die vor der Hütte ihrer Großeltern in der Sonne gebadet hatte. Und letzte Nacht war diese junge Catherine in seinen Armen wieder zum Leben erwacht. Sie war die ganze Zeit dort gewesen, gefangen in dieser starren Hülle, und hatte nur auf ihre Befreiung gewartet.
»Was sollen wir denn nun von
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