Die Chirurgin
fragte er.
»Nein, danke.«
»Kann ich Ihnen irgendetwas anderes bringen? Eine Limonade? Ein Glas Wasser?«
»Danke, ich habe keinen Durst.«
Jetzt setzte er sich auch. »Also. Worum geht es denn, Dr. Cordell?«
»Ich hatte gehofft, Detective Moore anzutreffen. Ich war den ganzen Vormittag im OP, und ich dachte, er hätte vielleicht versucht, mich zu erreichen …«
»Nun ja …« Frost zögerte; das Unbehagen war ihm an den Augen abzulesen. »Ich habe in Ihrem Büro eine Nachricht hinterlassen, so gegen Mittag. Von jetzt an sollten Sie sich mit allen Anliegen an mich wenden. Und nicht mehr an Detective Moore.«
»Ja, die Nachricht habe ich erhalten. Ich wüsste nur gerne …« Sie kämpfte mit den Tränen. »Ich wüsste nur gerne, was der Grund für diese Änderung ist.«
»Es dient dazu, hm … die Ermittlungen effizienter zu gestalten.«
»Was soll das heißen?«
»Moore muss sich auf andere Aspekte des Falles konzentrieren.«
»Wer hat das bestimmt?«
Frost wirkte zunehmend unglücklich. »Das weiß ich nicht so genau, Dr. Cordell.«
»War es Moore?«
Wieder eine Pause. »Nein.«
»Es ist also nicht so, dass er mich nicht sehen will.«
»Ich bin sicher, dass das nicht der Fall ist.«
Sie wusste nicht, ob er ihr die Wahrheit sagte oder sie nur zu beschwichtigen suchte. Sie merkte, dass zwei Detectives sie von einem anderen Teil des Büros aus anstarrten, und plötzlich stieg Zorn in ihr auf. Kannten alle außer ihr die Wahrheit? War das Mitleid, was sie in ihren Augen sah? Den ganzen Morgen über hatte sie von den Erinnerungen an die letzte Nacht gezehrt. Sie hatte auf Moores Anruf gewartet, hatte sich danach gesehnt, seine Stimme zu hören, zu hören, dass er an sie dachte. Aber er hatte nicht angerufen.
Und mittags hatte sie dann Frosts telefonische Nachricht erhalten, dass sie sich in Zukunft mit allen Fragen an ihn zu wenden habe.
Es bereitete ihr größte Mühe, den Kopf hochzuhalten und die Tränen zu unterdrücken, als sie ihn nun fragte: »Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb ich nicht mit ihm sprechen darf?«
»Ich fürchte, er ist zur Zeit gar nicht in der Stadt. Er ist heute Nachmittag abgereist.«
»Ich verstehe.«
Ohne dass er es ausdrücklich sagen musste, begriff sie, dass er ihr nicht mehr verraten würde. Sie fragte nicht, wohin Moore gereist war, und auch nicht, wie er zu erreichen sei. Sie hatte sich bereits blamiert, indem sie überhaupt hergekommen war, und jetzt gewann ihr Stolz die Oberhand. Die letzten zwei Jahre war es hauptsächlich ihr Stolz gewesen, aus dem sie die nötige Kraft bezogen hatte. Er hatte sie unbeirrt voranschreiten lassen, Tag für Tag, ohne dass sie sich unter dem Schutzmantel ihres Opferstatus verkrochen hätte. Andere sahen in ihr nur kühle Professionalität und emotionale Distanziertheit, denn das war alles, was sie ihnen zu sehen gestattete.
Nur Moore hat mich so gesehen, wie ich wirklich bin. Verwundet und verwundbar. Und das ist jetzt das Ergebnis. Das ist der Grund, weshalb ich nie wieder schwach sein darf.
Als sie aufstand, um zu gehen, war ihr Rücken gerade aufgerichtet, ihr Blick fest und unbeirrt. Beim Hinausgehen kam sie an Moores Schreibtisch vorbei; sie erkannte ihn an dem Namensschild. Sie blieb gerade lange genug stehen, um das Foto auf dem Schreibtisch zu betrachten. Es zeigte eine lächelnde Frau, in deren Haaren Sonnenstrahlen spielten.
Sie verließ das Gebäude, ließ Moores Welt hinter sich und kehrte niedergeschlagen in ihre eigene zurück.
18
Moore hatte geglaubt, die Hitze in Boston sei unerträglich; auf das, was ihn in Savannah erwartete, war er absolut nicht vorbereitet. An diesem Spätnachmittag aus dem Flughafengebäude ins Freie zu treten war so, als ob man in ein heißes Bad eintauchte. Er hatte das Gefühl, durch eine zähe Flüssigkeit zu waten, als er zum Mietwagenparkplatz weiterging, wo die heiße Luft über dem Asphalt kleine Wellen zu schlagen schien. Als er in seinem Hotel eincheckte, war sein Hemd bereits von Schweiß durchtränkt. Im Zimmer riss er sich die Kleider vom Leib und legte sich aufs Bett, um ein paar Minuten zu ruhen. Am Ende hatte er den ganzen Nachmittag verschlafen.
Als er aufwachte, war es dunkel, und er zitterte in dem allzu gut klimatisierten Zimmer. Er setzte sich auf die Bettkante. Sein Schädel dröhnte.
Er nahm ein frisches Hemd aus seinem Koffer, zog sich an und verließ das Hotel.
Selbst in der Nacht war die Luft noch wie heißer Dampf, doch er fuhr mit offenem Fenster,
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