Die Chirurgin
Aufschriften auf den Kartons mit den Akten und Beweismitteln. Er öffnete den mit dem Etikett »EP Nr. 1«. Die Protokolle der Ermittlung in Savannah. Darin fand er drei Faltordner, alle randvoll mit Material. Und das war nur der erste von vier Kartons. Der erste Ordner enthielt die Berichte über die ersten drei Überfälle in Savannah, dazu Zeugenaussagen und Protokolle von durchgeführten Hausdurchsuchungen. Im zweiten Ordner fand er die Akten von Verdächtigen, Auszüge aus Vorstrafenregistern und Laborberichte. Allein in diesem ersten Karton war genug Lektüre für einen ganzen Tag enthalten.
Und es gab noch elf weitere Kartons.
Als Erstes nahm er sich Singers Abschlussbericht vor. Wieder einmal fiel ihm auf, wie wasserdicht die Beweislage gegen Andrew Capra war. Insgesamt waren fünf Überfälle registriert, vier davon mit Todesfolge. Das erste Opfer war Dora Ciccone, ermordet in Atlanta. Ein Jahr darauf setzte die Mordserie in Savannah ein. Drei Frauen in einem Jahr: Lisa Fox, Ruth Voorhees und Jennifer Torregrossa.
Die Serie endete, als Capra in Catherine Cordells Schlafzimmer erschossen wurde.
In jedem der Fälle war Sperma im Scheidengewölbe des Opfers gefunden worden, dessen DNS mit der Capras übereinstimmte. Haare, die an den Tatorten der Morde an Fox und Torregrossa gefunden worden waren, hatte man als von Capra stammend identifiziert. Das erste Opfer, Ciccone, war in Atlanta im selben Jahr ermordet worden, als Capra sein Medizinstudium an der dortigen Emory University abgeschlossen hatte.
Die Morde waren Capra nach Savannah gefolgt.
Die einzelnen Fäden der Ermittlung verknüpften sich zu einem festen, scheinbar unzerreißbaren Gewebe. Aber Moore war klar, dass er lediglich einen zusammenfassenden Fallbericht vor sich hatte, der genau die Faktoren in den Vordergrund stellte, die zu Singers Schlussfolgerungen passten. Widersprüchliche Details waren möglicherweise ausgelassen worden. Aber genau diese Details, diese kleinen, aber bedeutsamen Unstimmigkeiten, hoffte er bei seiner Wühlarbeit in den Aktenkartons zutage zu fördern. Irgendwo hier drin, so dachte er, hat der Chirurg seine Spuren hinterlassen.
Er schlug den ersten Ordner auf und begann zu lesen.
Als er sich drei Stunden später endlich von seinem Stuhl erhob und seine verkrampften Rückenmuskeln streckte, war es bereits Mittag, und er hatte gerade erst begonnen, den Papierberg zu erklimmen. Nirgendwo hatte er auch nur den Hauch einer Witterung des Chirurgen aufnehmen können. Er ging um den Tisch herum und ließ den Blick über die Etiketten der noch nicht geöffneten Kartons schweifen. Auf einem las er: »Nr. 12 Fox/Torregrossa/ Voorhees/Cordell. Presseartikel, Videos, Diverses.«
Er öffnete den Karton und fand ein halbes Dutzend Videokassetten, die auf einem dicken Stapel Aktenordner lagen.
Er nahm das Video mit der Aufschrift »Wohnung Capra« heraus. Es trug das Datum 16. Juni. Der Tag nach dem Überfall auf Catherine.
Er traf Singer an seinem Schreibtisch an, wo dieser gerade ein Sandwich verspeiste, offenbar aus dem Delikatessengeschäft, dick mit Roastbeef belegt. Der Schreibtisch selbst verriet ihm eine Menge über Singer. Er war extrem sorgfältig aufgeräumt, alle Papiere exakt Ecke auf Ecke übereinandergelegt. Ein Polizist, der großen Wert auf Details legte – und der als Kollege vermutlich unausstehlich war.
»Gibt es hier einen Videorekorder, den ich benutzen könnte?«
»Den halten wir unter Verschluss.«
Moore wartete. Es war so offensichtlich, worum er Singer bat, dass er sich nicht die Mühe machte, die Bitte auszusprechen. Mit einem theatralischen Seufzer griff Singer in seine Schublade, nahm die Schlüssel heraus und erhob sich.
»Schätze, Sie brauchen ihn sofort, hab ich Recht?«
Singer rollte den Wagen mit dem Videorekorder und dem Fernseher aus dem Materialraum heraus und schob ihn in das Zimmer, in dem Moore gearbeitet hatte. Er steckte die Kabel ein, schaltete die Geräte ein und grunzte zufrieden, als er feststellte, dass alles funktionierte.
»Danke«, sagte Moore. »Ich werde ihn vermutlich für ein paar Tage brauchen.«
»Schon irgendwelche sensationellen Entdeckungen gemacht?« Der Sarkasmus in Singers Stimme war unüberhörbar.
»Ich fange ja gerade erst an.«
»Ich sehe, Sie haben das Capra-Video.« Singer schüttelte den Kopf. »Mann, was in dem Haus für krankes Zeug abgelaufen ist.«
»Ich bin dort gestern vorbeigefahren. Da ist nur noch ein leeres Grundstück.«
»Ist vor
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