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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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ungefähr einem Jahr abgebrannt. Nach der Sache mit Capra konnte die Besitzerin die obere Wohnung nicht mehr vermieten. Also hat sie angefangen, Geld für Besichtigungen zu kassieren, und ob Sie’s glauben oder nicht, das Geschäft lief glänzend. Sie wissen schon, die ganzen perversen Anne-Rice-Horrorfans, die kamen gleich angelaufen, um in der Höhle des Monsters auf die Knie zu fallen. Na ja, die Wirtin war ja selber ein bisschen meschugge.«
    »Ich werde mit ihr reden müssen.«
    »Das dürfte kaum möglich sein, es sei denn, sie können mit Toten kommunizieren.«
    »Ist sie bei dem Brand ums Leben gekommen?«
    »Knusprig geröstet.« Singer lachte. »Rauchen schadet der Gesundheit. Das hat sie überzeugend bewiesen.«
    Moore wartete, bis Singer den Raum verlassen hatte. Dann schob er die Kassette mit der Aufschrift »Wohnung Capra« in den Rekorder.
    Die ersten Bilder waren Außenaufnahmen der Vorderseite des Hauses, in dem Capra gewohnt hatte, bei Tageslicht gedreht. Moore erkannte den Baum mit dem Louisiana-Moos im Vorgarten. Das Haus selbst war ein zweistöckiger Kasten ohne jeden Reiz, der dringend einen neuen Anstrich nötig hatte. Der Mann an der Kamera kommentierte die Szenen und nannte zunächst das Datum, die Uhrzeit und die Adresse. Er stellte sich als Detective Spiro Pataki von der Kripo Savannah vor. An der Qualität des Tageslichts erkannte Moore, dass die Aufnahmen am frühen Morgen gemacht worden waren. Die Kamera schwenkte zur Straße, und er sah einen Jogger vorbeilaufen, das Gesicht neugierig zur Kamera gedreht. Es herrschte starker Verkehr (die morgendliche Rushhour?), und einige Nachbarn standen auf dem Gehsteig und starrten den Kameramann an.
    Jetzt hielt er wieder auf das Haus, und das Bild wurde wacklig, als er auf die Haustür zuging. Drinnen zeigte Detective Pataki zunächst in einem Schwenk das Erdgeschoss, wo die Zimmerwirtin Mrs. Poole wohnte. Moore erhaschte flüchtige Blicke auf abgetretene Teppiche, dunkle Möbel, einen überquellenden Aschenbecher. Die fatale Sucht einer Frau, die als knusprig geröstete Leiche enden sollte. Der Kameramann ging eine enge Treppe hoch und trat durch eine Tür mit einem schweren Sicherheitsschloss in Andrew Capras Wohnung im ersten Stock.
    Moore bekam schon vom bloßen Hinsehen Platzangst. Das Obergeschoss war in viele kleine Räume aufgeteilt worden, und wer immer diese »Renovierung« durchgeführt hatte, musste irgendwo ein Sonderangebot für Holzverkleidungen aufgetan haben. Sämtliche Wände waren mit dunklem Furnier bedeckt. Die Kamera fuhr einen Flur entlang, der so eng war, dass man den Eindruck hatte, durch einen Tunnel zu kriechen. »Schlafzimmer rechts«, sagte Pataki ins Mikrofon der Videokamera, während er das Objektiv zur offenen Tür hin schwenkte und auf ein schmales, ordentlich gemachtes Bett, einen Nachttisch und eine Kommode hielt. Mehr Möbel hätten in die düstere kleine Höhle ohnehin nicht gepasst.
    »Ich gehe weiter zum Wohnbereich im hinteren Teil«, sagte Pataki, als die Kamera ihre verwackelte Fahrt durch den Tunnel fortsetzte. Dieser mündete in ein größeres Zimmer, in dem einige Leute herumstanden und finster dreinblickten. Moore erkannte Singer, der vor einem Wandschrank stand. Hier wurde es interessant.
    Die Kamera nahm Singer ins Visier. »Diese Tür war mit einem Vorhängeschloss gesichert«, sagte Singer und zeigte auf das aufgebrochene Schloss. »Wir mussten sie aufbrechen. Das da haben wir drinnen gefunden.« Er öffnete die Tür des Wandschranks und zog an einer Schnur, um das Licht im Schrank einzuschalten.
    Das Bild wurde plötzlich unscharf, dann wieder scharf, und die Aufnahme füllte den Bildschirm mit verblüffender Klarheit. Es war ein Schwarzweißfoto des Gesichts einer Frau. Ihre Augen waren weit offen und leblos, der Hals so tief durchschnitten, dass das Knorpelgewebe des Kehlkopfs zu sehen war.
    »Ich glaube, dass es sich hier um Dora Ciccone handelt«, sagte Singer. »Okay, halten Sie jetzt auf das hier.«
    Die Kamera schwenkte nach rechts. Ein weiteres Foto, wieder von einer Frau.
    »Es scheint sich um Aufnahmen zu handeln, die von den vier Opfern nach ihrem Tod gemacht wurden. Ich gehe davon aus, dass wir hier die Leichenfotos von Dora Ciccone, Lisa Fox, Ruth Voorhees und Jennifer Torregrossa vor uns haben.«
    Es war Andrew Capras private Fotogalerie. Ein Schlupfwinkel, in dem er seine Mordtaten immer wieder aufs Neue genießen konnte. Was Moore als noch verstörender empfand als die Fotos

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