Die Chirurgin
drei Minuten auf diesem Stockwerk eingetroffen – und zwar nur mit dem Aufzug. Wie viele waren wohl noch zusätzlich über das Treppenhaus gekommen? Rizzoli sah mit wachsender Verblüffung, was sich dort abspielte. Das Timing war perfekt. Einen Code Blau auszurufen war, als ob man eine Stampede auslöste. Während Dutzende von Ärzten und Schwestern aus allen Teilen des Krankenhauses in 5 West zusammenströmten, konnte jeder, der einen weißen Kittel trug, sich unbemerkt einschleichen. Der Unbekannte würde zweifellos in der hinteren Ecke des Aufzugs stehen, hinter allen anderen verborgen. Er würde sorgfältig darauf achten, dass immer irgendjemand zwischen ihm und der Kamera stand. Sie hatten es mit einem Gegner zu tun, der über die Abläufe in einem Krankenhaus bestens informiert war.
Sie sah, wie die zweite Gruppe, die mit dem Fahrstuhl gekommen war, nach links aus dem Bild verschwand. Zwei der Gesichter waren die ganze Zeit über verdeckt gewesen.
Jetzt legte Moore eine andere Kassette ein, die eine neue Perspektive zeigte. Sie blickten nun auf eine Treppenhaustür. Einige Sekunden lang passierte nichts. Dann wurde die Tür geöffnet, und ein Mann in einem weißen Kittel platzte herein.
»Den kenne ich. Das ist Mark Noble, einer der AiPler«, sagte Sharon.
Rizzoli nahm ein Notizbuch zur Hand und schrieb den Namen auf.
Wieder sprang die Tür auf, und zwei Frauen traten hindurch. Beide trugen weiße Uniformen.
»Das ist Veronica Tarn«, sagte die Oberschwester und deutete auf die kleinere der beiden Frauen. »Sie arbeitet in 5 West. Sie hatte gerade Pause, als der Alarm kam.«
»Und die andere Frau?«
»Ich weiß nicht. Man kann ihr Gesicht nicht besonders gut erkennen.«
Rizzoli notierte:
10:48, Treppenhauskamera: Veronica Tarn, Krankenschwester, 5 West.
Unbekannte Frau, schwarze Haare, Laborkittel.
Insgesamt sieben Personen kamen durch die Treppenhaustür. Die Schwestern erkannten fünf von ihnen. Bis jetzt hatte Rizzoli 31 Personen gezählt, die entweder mit dem Aufzug oder über das Treppenhaus in die Station gekommen waren. Wenn man noch das Personal hinzuzählte, das zum Zeitpunkt des Alarms schon auf der Station beschäftigt gewesen war, dann hatten sie es mit mindestens 40 Leuten zu tun, die Zugang zu 5 West gehabt hatten.
»Jetzt achten Sie einmal darauf, was passiert, wenn die Leute während des Alarms und danach die Station wieder verlassen«, sagte Moore. »Diesmal haben sie es nicht so eilig. Vielleicht können Sie noch das eine oder andere Gesicht erkennen und ihm einen Namen zuordnen.« Er schaltete auf schnellen Vorlauf. Die Zeitanzeige am unteren Rand des Monitors rückte acht Minuten vor. Der Code lief immer noch, aber schon jetzt begannen Mitarbeiter, die nicht gebraucht wurden, die Station wieder zu verlassen. Die Kamera zeigte sie nur von hinten, wie sie auf die Treppenhaustür zugingen. Zuerst kamen zwei Medizinstudenten; einen Augenblick später folgte ihnen ein nicht identifizierter Mann, der allein ging. Dann trat eine lange Pause ein, während der Moore wieder vorspulte. Als Nächstes betrat eine Gruppe von vier Männern gemeinsam das Treppenhaus. Die Zeitanzeige stand auf 11:14. Um diese Zeit war der Alarm offiziell beendet, Herman Gwadowski war bereits für tot erklärt worden.
Moore legte wieder die andere Kassette ein, und sie sahen noch einmal den Aufzug.
Als sie mit dem Studium der Videoaufzeichnungen fertig waren, hatte Rizzoli drei Seiten mit Notizen voll geschrieben und eine Strichliste über die während des Alarms eingetroffenen Personen erstellt. Dreizehn Männer und siebzehn Frauen waren auf den Coderuf hin in die Station gekommen. Nun zählte Rizzoli nach, wie viele sie nach dem Ende des Alarms hatten weggehen sehen.
Die Zahlen stimmten nicht überein.
Schließlich drückte Moore auf die Stopptaste, und der Bildschirm wurde schwarz. Sie hatten sich über eine Stunde lang die Videoaufzeichnungen angesehen, und die beiden Schwestern sahen ausgesprochen mitgenommen aus.
Rizzolis Stimme, die das Schweigen durchbrach, schien sie beide aufzuschrecken. »Arbeiten während Ihrer Schicht irgendwelche männlichen Mitarbeiter auf 5 West?«
Die Oberschwester blickte sich nach Rizzoli um; sie schien überrascht, dass plötzlich noch eine Polizistin im Raum war, die sie gar nicht hatte kommen hören. »Wir haben einen Pfleger, der um drei anfängt. Aber in der Frühschicht habe ich keine Männer.«
»Und zu der Zeit, als der Code durchgegeben wurde, waren auch
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