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Die Chorknaben

Die Chorknaben

Titel: Die Chorknaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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ließ den Strahl des Suchscheinwerfers über die Häuserfronten gleiten und hoffte, niemanden zu entdecken, der wegen der abgefeuerten Schüsse die Polizei verständigt hatte. Sam Niles wollte eigentlich lieber zu einem Drive-in in East Hollywood fahren, um sich dort einen Kirschkuchen mit Kaffee zu genehmigen und vielleicht eine Verabredung mit einer Bedienung zu ergattern, die er kannte und die dort beschäftigt war.
    »Da«, sagte Harold, als Sams Scheinwerfer auf einen kinnlosen, verwelkten Mann fiel, der im Bademantel vor einem zweistöckigen Wohnhaus wartete. Die Glastür war so oft eingeschlagen worden, daß die Scheiben durch Sperrholz und Pappe ersetzt worden waren.
    Sam ließ sich beim Einparken Zeit, so daß Harold bereits die schmale Straße überquert hatte, bis Sam seine Taschenlampe und die Zigaretten eingesteckt und den Wagen abgeschlossen hatte, damit nicht jemand auf die Idee kam, die Sitzpolster aufzuschlitzen oder das Gewehr aus der Halterung zu klauen. »Ich hab' einen Schuß gehört«, sagte der alte Mann. Seine Augen waren so sanft-braun wie die eines Hundes.
    »Wohnen Sie hier?«
    »Ja.«
    »Sind Sie der Hausmeister?«
    »Nein, aber ich habe Zweitschlüssel. Ich helfe Charlie Bates manchmal aus. Er ist der Hausmeister.«
    »Warum brauchen wir überhaupt einen Schlüssel?« wollte Harold wissen.
    »Der Schuß kam von da oben.«
    Daraufhin deutete der Mann im Bademantel mit einem knochigen gelben Finger zum Vorderfenster im ersten Stock hinauf, wo ein grauer Musselinvorhang vor dem schwarzen Loch eines offenen Fensters flatterte, obwohl es eine kühle und wolkige Nacht war.
    »Geben Sie uns den Zweitschlüssel; wir sehen mal nach«, forderte Sam Niles den alten Mann auf und fragte sich später, ob er in diesem Augenblick bereits etwas geahnt hatte.
    Anscheinend hatte er das. Er konnte sich nämlich verschwommen daran erinnern, daß er gehofft hatte, eine Rampart-Streife würde Schuldgefühle bekommen, daß Wilshire sich um ihre Aufträge kümmern mußte, und vielleicht die Ninth Street heruntergejagt kommen würde, um sie abzulösen.
    Die Stufen knarzten, als sie die Treppe zum ersten Stock hinaufstiegen. Im Innern des Hauses stank es überall nach dem verschimmelten Treppenläufer und Urin. Die beiden Polizisten stellten sich zu beiden Seiten der Tür auf, und Sam klopfte. Die Blätter des absterbenden Baums vor dem Fenster, des letzten im ganzen Block, raschelten im Wind, der durch den schmalen Korridor nach oben zog. Dafür, daß in dem Haus fünfundachtzig Leute wohnten, war es überraschend still. Sam griff nach oben zur Decke und schraubte die einzige Glühbirne an ihrem Ende des Korridors heraus. »Besser, wir bleiben im Dunkeln.«
    »Vielleicht ist es irgendein Besoffener, der ein bißchen mit seiner Kanone rumspielt«, meinte Harold, und dann zogen beide ihre Dienstwaffen.
    Als Sam ein zweites Mal klopfte, hallte das Geräusch in dem leeren Korridor wider, auf dessen Boden kein Teppich lag. Die Holzbretter waren lediglich mit einer dicken Schmutzschicht überzogen; um die zu entfernen, hätte man den Boden sicher um ein paar Zentimeter abschleifen müssen. Vom Fenstersims aus beobachtete sie mit einer Gleichgültigkeit, wie sie sonst auch Sam Niles an den Tag legte, eine senffarbene Katze. Der Wind sorgte für ordentlichen Zug im Haus, und er war kalt, aber Sam war, wie er sich später erinnerte, schweißüberströmt. Er konnte sogar das Salz schmecken, das von seinem Schnurrbart auf seine Oberlippe tropfte. Und dann hörten sie es. Zuerst dachte Sam Niles, es wäre der Wind. Aber dann sah er den Ausdruck in Harolds Gesicht, als dieser in dem dunklen Flur an eine vom Mondlicht erhellte Stelle trat. Instinktiv spürte er, daß auch Harold das Geräusch gehört hatte und daß es nicht vom Wind herrührte.
    Und dann hörten sie es von neuem. Der ›Stöhnende Mann‹ sagte: »Mmmmmmmmmmm. Mmmmmmmmmm. Mmmmmmmmmmmuuuuuuuuuuuhhhhhhh.« Sam schwitzte jetzt noch stärker. Und auch Harolds blasses, schmales Gesicht glänzte im Mondlicht, als er sich, die Waffe in seiner Linken, gegen die Wand drückte. Langsam drehte Sam Niles den Schlüssel im Schloß, um dann mit der Zehenspitze die Tür aufzustoßen und an die Wand zurückzuspringen.
    »Mmmmrnmmmmmm«, begrüßte sie der ›Stöhnende Mann‹.
    »Aaaaaaaahhhh. Mmmmuuuuuuuuuuhhhhhhhh.«
    »Herr im Himmel, verdammtes Arschloch, blöde Sau!« fluchte Sam Niles völlig zusammenhanglos. Er tat das öfter, wenn er Angst hatte.
    Das Stöhnen klang

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